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Fahrradläden: Velo 54 in Wilhelmsburg ist eine feine Adresse

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Meine Radhändlerserie ist etwas in Vergessenheit geraten; darum jetzt hier endlich mal eine Aktualisierung mit einem noch frischen Geschäft im Stadtteil Wilhelmsburg. Der Name ist schlicht und leicht zu merken: Velo 54. Die Ziffer bezeichnet praktischerweise die Hausnummer in der Vehringstraße im südlichen Bereich des Reiherstiegviertels. Erstaunlich, dass der riesige Stadtteil ziemlich lange mit nur zwei Fahrradgeschäften ausgekommen ist (Prondzinski und Elbinselrad). Velo 54 hat definitiv gefehlt und bereichert die Szene.

Velo 54 in der Vehringstrasse 54 in Hamburg-Wilhelmsburg

Schon die Webseite von Velo 54 zeigt, dass der Laden mit Leidenschaft betrieben wird. Die drei Macher Hannes, Andy und Fanne bezeichenen ihre Unternehmung selbst als Fahrradmanufaktur, was fast ein wenig zu edel fürs Mulitkulti-Arbeiterambiente der Elbinsel klingt.

Links und rechts vom Ladeneingang präsentiert Velo 54 eine bunte Auswahl an soliden und praktischen Alltagsrädern. Spezialität sind Cargobikes, die in üppiger Anzahl im Außenbereich ausgestellt sind. Ob Bullit, Urban Arrow oder Bakfiets - Velo 54 gehört in Hamburg zu den Radgeschäften mit dem umfangreichsten Transportrad-Angebot. Ein kluger Schritt, denn Wilhelmsburg in kinderreich und Lastenräder sichtbar im Trend.

Die drei Inhaber sind auf jeden Fall Fahrradnerds. Das spürt man. Und manchmal sieht man es auch. So kam mir Hannes Leitner einmal ungewöhnlich zügig bei der Elbinsel-Allyecat auf einem Singelspeed entgegengerauscht. Der Mann hat nicht nur Kettenöl im Blut, sondern auch mächtig Muskelpower in den Beinen.
Andy von Velo 54 beim Nachschneiden (m)eines Tretlagers am Singelspeed


Was mir besonders gefällt ist der stets freundliche und engagierte Service. Ob dringend benötigtes Ersatzteil oder schnelle Hilfe beim Austausch eines Zahnkranzes, kompetente Hilfe ist dem Velo 54-Kunden gewiss. Für kleine Hilfestellungen bedankt man sich dann freundlich mit einer Spende in die Kaffeekasse - so soll es sein. Man spürt es wohl: Ich mag den Laden und ich kann mir Wilhelmsburg eigentlich nicht mehr ohne ihn vorstellen.

Critical Mass wissenschaftlich beleuchtet: Politischer Protest oder nur Pedal-Party?

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Eigentlich fährt Gabriela ein schickes Koga-Vintage-Rennrad. Fürs Foto musste sie aber mein Bonanza nehmen

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Ich hatte Besuch. Hohen Besuch! Gabriela war bei mir. Gabrila studiert Kulturwissenschaften und will ihre Masterarbeit über die Critical Mass schreiben. Das ist spannend. Denn Gabriela wird versuchen, die Motive und Auslöser zu ergründen, warum sich allmonatlich bis zu 6000 Fahrradfahrer mehr oder weniger spontan bei der CM treffen. Was für ein Phänomen ist das, die kritische Masse? Geht es vorrangig um bessere Bedingungen für Radfahrer? Oder ist das "Jeden-Letzten-Freitag-Im-Monat-Ritual" einfach nur eine lustige Bike-Party? Bei ihrer Recherche ist Gabrila auch auf meine Typologie der CM-Fahrer aufmerksam geworden. Nun sitzt sie in meiner Küche, wir trinken Kaffee und reden über Fahrradfahrer und Fahrräder, über Politik und Protest und natürlich über die Critical Mass.
Nein, eine Demonstration will die CM nicht sein. Dann wäre sie genehmigungspflichtig und eine Route wäre vorgegeben. Darum sehen die unbekannten Initatoren sie eher als spontanes Radfahrertreffen an jedem letzten Freitag im Monat. Eigentlich ist da schon der erste Widerspruch: spontan und regelmässig gehen irgendwie nicht gut zusammen.

Das sind sie, die Themen die Gabriela und ich diskutieren. Was treibt die Teilnehmer an? Selbst bei schlechtem Wetter zieht es inzwischen sogar im Winter sehr viele Radfahrer auf die Straße. "We are traffic" lautet der CM-Slogan. Wir sind Verkehr! Übersetzt bedeutet das etwa: Auch uns gehört die Strasse. Aber ist das wirklich der Auslöser? Das versucht Gabriela durch Beobachtungen und Interviews herauszufinden.

Ein spannender Ansatz, nötigt er mich doch zum Nachdenken. Warum fahre ich da eigentlich mit? Die Antwort fällt mir gar nicht so leicht. Anfänglich war es pure Neugier. Ich wollte wissen: Was geht da ab? Was sind das für Typen bei der CM?

Anschließend hatte ich ein diffuses Bild. Es gab viele Normalos, aber auch etliche stark engagierte Radlobbyisten und einige "Kampfradler", die es auf Provokationen mit Autofahrern angelegt haben. Vor ein paar Jahren war die CM in Hamburg deutlich politischer und aggresiver. Das ist vorbei. Heute ist die CM noch vielfältiger. Neben den weniger echten Protestfahrern ist es heute ein breiter gesellschaftlicher Mix, der da in die Pedale tritt. Vom Greenpeace-Campaigner bis zum CDU-Mitglied ist fast das gesamte politische Spektrum dabei.

Gabriela hat es darum nicht leicht, das CM-Phänomen zu deuten. Aber genau das kann ja auch der Reiz sein, die Herausforderung: CM, das unbekannte Wesen.

Auf Demos werden in der Regel Missstände angeprangert. Für viele Critical-Mass-Teilnehmer sind das zu wenige und schlechte Radwege, Radverkehrspolitik eben. Die Forderungen werden bei der CM aber nicht mit Plakaten und Magaphonen verkündet, sondern eher stillschweigend dadurch kommuniziert, dass man gemeinsam mit Fahrrädern die Straße benutzt und von seinem guten Recht gebraucht macht. Mehr nicht. Agitation, Reden, Trillerpfeifen, Plakate, all das gibt es nicht. Nein, echte Demos sehen anders aus.

Offensichtlich sehen viele in der CM vielmehr eine bunte Spaßveranstaltung. Schließlich wird in Tunneln und unter Brücken heftig geklingelt und gejohlt - und zwar nicht aus Protest, sondern aus purer Lebensfreude. Gut so. Mir gefällt diese Leichtigkeit.

Ob politisch motiviert oder als reiner Feierabendspaß - alle Teilnehmer eint, dass Radfahrern eine gute Sache ist, eine Sache, die sinnvoll ist für Umwelt, Geldbeutel und Lebensqualität. Und die natürlich Spaß macht. Die Lust an der Bewegung auf dem Rad und das Gemeinschaftserlebnis ist vielleicht die noch größere Triebfeder, um zur CM zu kommen. Völlig unpolitisch, völlig ohne Botschaft, einfach nur Fahrradfahren! Warum nicht? Für mich ist das okay. Wenn sich Freunde und Arbeitskollegen dort ohne tiefere Mission treffen, finde ich das wunderbar.

Einen nicht unerheblichen Teilnehmerkreis kann man auch als "Rad-Exibitionisten" bezeichnen. Sie haben Spaß daran, ihr Bike und sich zu präsentieren. Irgendwie gehöre ich auch zu denen; warum sonst tue ich mir 30 Kilometer auf einem Klapp- oder Bonanzarad an? Ähnliches gilt für Lastenradfahrer, Soundbikes, Tallbikes und so weiter. Die CM ist also auch ein Laufsteg für fahrradbegeisterte Menschen. Auch das ist eine feine Sache, zeigt dieser Trend doch, dass das Fahrrad dem Auto als Statussymbol Konkurrenz macht oder vielleicht sogar schon ablöst.

Ein glasklares Destillat, was die CM ist und wer dort mitfährt, kann ich Gabriela nicht liefern. Sie wird sich ihre eigenen kulturwissenschaftlichen Gedanken dazu machen und in ihrer Masterarbeit zu Papier bringen. Bin gespannt und wünsche ihr toi, toi, toi.

Vintage-Klappräder: Manuel mag es bunt und nostalgisch

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Manuel vom Klapprad Club Hamburg mit einem Teil seiner Sammlung
Mein Faibel für alte Klappräder führt immer mal wieder zu Überraschungen. Auf der Suche nach einem Geschenk für meinen Bruder landete ich bei Manuel. Manuel hatte ein 16-Zoll Graziella bei E-Bay-Kleinanzeigen im Angebot - ein perfektes Präsent fürs Bruderherz. Vor Ort erfuhr ich dann von Manuel, dass er den Klapprad Club Hamburg gegründet hat und er sich speziell der Pflege und Restaurierung von Vinatge-Klappräder verschrieben hat. Da konnte es natürlich nicht bei diesem einen Besuch bleiben und wir verabredeten uns zu einem weiteren Termin, damit er mir seine Sammlung zeigen konnte und um über historische Klappis zu plaudern.
"Ja, Platz ist ein Problem", seufzt Manuel, während wir in seinen Keller in der Nähe des Horner Kreisels abtauchen. Stimmt, Platz kann man eigentlich nie genug haben. Ich weiß, wovon der Mann redet. Wer Fahrräder sammelt, braucht Platz. Platz für eine Werkstatt und Platz, die restaurierten Zweirad-Schätze zu lagern. Und ein Keller ist dafür definitiv zu klein. Aber Manuel hat Glück, neben seinem Kellerraum steht ihm eine ehemalige Waschküche als Abstellfläche zur Verfügung.
Sparta 8-80: ein Klapprad-Klassiker aus Holland

Was er hier zusammen getragen hat, ist eine sehr, sehr feine Kollektion an nostalgischen Klapprädern, die jede Menge 60er- und 70er-Jahre Zeitgeist versprühen. "Ich behalte nur die wirklich außergewöhnlichen Exemplare", erklärt er. Auch wenn er natürlich wie jeder Sammler am leiebsten alle behalten würde, die da so seinen Weg kreuzen. Aber der Platz...

Nachschub bekommt Manuel von einem Bekannten, der sich mit Haushaltsauflösungen beschäftigt. Klar, wer so eine Quelle hat, gelangt an echte Raritäten. Wobei Manuels Lieblings-Klapper eigentlich gar nicht so selten ist: ein Sparta 8-80. Im Herkunftsland Holland ist dieses 22-Zoll-Modell durchaus noch im Straßenbild sichtbar, bei uns eher rar und inzwischen auch recht teuer.

Kettenkasten der Sparta 8-80
Ich mag damit einfach sehr gerne rumfahren", schwärmt Manuel über das Kreuzrahmen-Fahrrad aus Pressblech. Ich kann ihm nur zustimmen. Denn auch in meinem Fuhrpark befindet sich ein Exemplar des Sparta 8-80, das ich sogar um eine nicht klappbare Variante erweitert habe. 8-80 bedeute übrigens, dass es sich für Fahrer zwischen 8 bis bis 80 Jahren eignet.

Nach dem Sparta schieben wir noch ein paar weitere Modelle aus Manuels Sammlung ans Licht. Mein Lieblingsstück ist ein blaues Klappi der Marke GMA aus Frankreich. Was für ein Design! Das kastige Hauptrohr bildet eine elegante Linie mit dem vollverkleideten Kettenkasten, Sattel und Steuerrohr haben den gleichen Winkel und sorgen so für eine sehr harmonische Ausstrahlung - ein echter Klappradklassiker der für mich stilistisch ans italienische Duemilla heranreicht.
GMA aus Frankreich: Form und Farbe sind der Hammer

Und so geht es munter weiter: ein bronzefarbenes Kalkhoff mit Bonanzarad-Gabel, ein Triumph mit hochglanzverchromten Kettenschutz und krassem Lila-Farbton, dann ein Record mit Bananensattel und Sissybar - Manuels Sammlung ist wirklich abwechslungsreich und ein Fest für die Augen.
GMA mit vollverkleidetem Kettenkasten

Zum Glück sammelt Manuel die Räder nicht einfach nur, sondern fährt auch mit ihnen. Das war auch der Grund den Klapprad Club als Facebookgruppe zu gründen. Rund 200 Mitglieder machen da schon mit. Manuels Vorliebe für vergangene Zeiten erstreckt sich nicht nur auf Klappräder, sondern der gelernte Kfz-Mechaniker steht auch aufs Design älterer Ghettoblaster. Und in der Garage um die Ecke parkt ein VW Golf aus der ersten Produktionsserie - der Mann versteht halt was von gutem und nachhaltigem Design.
Klapprad  von Trumph in lila


Um sein nostalgisches Hobby in der Neuzeit aktuellen Ausdruck zu verleihen tüftet er gerade mit Musikerfreunden an einem Klappradsong, den später auch ein cooles Video begleiten soll. Hut ab Manuel, so viel Klapprad-Kreativität findet man nicht alle Tage.

Schon jetzt können sich Klapprad-Begeisterte aus Noddeutschland auf März oder April freuen. Dann ruft der Klapprad Club Hamburg wahrscheinlich wieder zu einer gemeinsamen Ausfahrt durch die Hansestadt auf. Ganz klar: Wenn keine anderen Termine drohen, werde ich bei dieser Tour dabei sein. Ehrensache!
Qualitätsware von Kalkhoff:
Bonanzagabel am Klakhoff


Typisches Design der 70er

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Rekord mit Bananensattel


Nachruf: Helmut Niemeier ist tot. Er wird fehlen.

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Die traurige Nachricht erreichte mich heute morgen: Helmut Niemeier ist tot. Schock! Mit ihm geht nicht nur eine echte Fahrradpersönlichkeit, die nicht zu ersetzen ist, sondern auch ein Freund. Ja, Helmut war mein Freund. Einer, der erst in reiferen Jahren dazu geworden ist. Einer, den ich sehr schätzte. Einer, mit dem ich nicht immer einer Meinung war, aber mit dem man immer fair und konstruktiv streiten konnte. Solche Menschen sind selten. Es geht ein Mann mit Ecken und Kanten von uns. Ein Mann von kleiner Statur, aber großem Charakter. Ein leidenschaftlicher Mann. Helmut war meinungsstark und temperamentvoll, hatte Eigenarten und Liebenswürdigkeiten. Vor meinem geistigen Auge ziehen heute viele Situationen, Erlebnisse und Begegnungen mit Helmut vorbei.

Irgendwo in der Heide traf ich ihn bei einer RTF an der letzten Kontrollstelle. Er war, wie immer zwar früh gestartet, ließ sich dann aber wohl aus mehreren Gruppen nach hinten fallen. Hier ein paar Fotos, da ein Schwätzchen, an der K2 ein paar Schokoküsse... - Helmut fuhr nie um gute Zeiten, Strava-Credits oder Trophäen. Er schätzte den Kontakt zu anderen Radfahrern, konnte sich über Wetterphänomene begeistern und an der Landschaft erfreuen. "Nun guck Dir diese Wolken an", war so ein typischer Helmut-Spruch, bei dem er seine Kamera Richtung Himmel hielt und das schöne Bild einfing. In der Tat war der Himmel mit seinen spektakulären Schäfchenwolken heute besonders dramatisch. Ohne Helmut hätte ich das so nicht wahr genommen. Und vielen Teilnehmern machte er mit der unermüdliche Pflege seiner Internetseiten später am heimischen Rechner eine Freude. Ganz klar: Ein RTF ohne Helmut war irgendwie keine richtige RTF.

Später fing es an zu regnen. Helmut kurbelte genauso stoisch weiter wir er redete. Über Politik, Feuerwehr, Radsport oder Pferdehaltung - Helmut hatte zu fast jeder Thematik eine Theorie oder Meinung. Ein Mann mit Sendungsbewusstsein. Aber immer "Open Minded" wie es neudeutsch heißt. Neue Veranstaltungen oder Treffen wie die Critical Mass begleitete er stets mit einem gewissen Grundoptimismus, sparte aber nicht mit Kritik, wenn ihm was nicht gefiel. So war Helmut weit mehr als der Radsport-Chronist in Norddeutschland und Umgebung, sondern ein Fahrradförderer im breiteren Sinne.

Ach Helmut, Du wirst mir fehlen. Deine nächtliche Anrufe, Deine Handy-Frage nach dem CM-Treffpunkt, obwohl die Veranstaltung bereits seit zehn Minuten lief, Dein Fluchen auf Navis, Handys oder Selfiesticks - all das soll es jetzt nicht mehr geben? Kaum vorstellbar und schmerzhaft.

Ich könnte noch so viel über Helmut und seine HFS berichten, aber das, was er hinterlässt, spricht ja für sich selbst. RIP Helmut. Meine Gedanken sind bei seiner Frau Lila und seiner Familie. Mögen sie die Kraft haben, die sie jetzt brauchen.

Falls es nicht dem Willen der Familie widerspricht, wünsche ich mir, das Rago-Initator Hans-Joachim Burkhard die Trauerrede hält. Ausserdem sollte es eine Helmut-Niemeier-RTF geben. Und auch eine Schweigetour durch Hamburg wäre sicherlich in seinem Sinne.

Vor gut 1,5 Jahren hatte ich Helmut schon mal ein Portrait gewidmet. 

Fahrradteile: Darf's etwas teurer sein?

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Im Baumarkt sowie bei Aldi und Co gibt es zeitweise Discount-Fahrräder für 150 Euro - voll ausgestattet mit Lichtanlage, Gepäckträger und Schaltung. Gerne wüsste ich, wie der Einkaufspreis für so eine Schnäppchen-Bike in China ist: 75 Euro? 50 Euro? Oder noch weniger? Aber es geht auch anders. Der Gegenpol zur günstigen Supermarktware sind sauteure Fahrradteile, die schnell ein Vielfaches von einem vollständigen Billig-Bike kosten. Und dabei sind sie oft eher klein und unscheinbar. Ich habe mich da mal auf die Suche gemacht und Erstaunliches entdeckt.
Conti-Fahrradreifen zum Kaviar-Preis: Knapp 400 Euro UVP kostet der Schlauchreifen von Continental - pro Stück!
Auf der Couch liegen und im Internet nach hochwertigen Fahrradteilen surfen - herrlich. Ich mach das öfters; einfach so, nicht weil ich wirklich was kaufen will, sondern zur Entspannung. Ähnlich muss es Fashion-Victims gehen, die stundenlang Designer-Mode oder teuren Schmuck und Uhren bestaunen. Meine Juweliere heißen Chris King, White Industries oder Lezyne.

Verblüffend, wie viel Kohle man für ein paar unscheinbare Anbauteile hinlegen kann. Beispiele gefällig? Bitte schön! Eine gute Quelle für Bike-Parts mit Kaviarstatus ist zum Beispiel Bike 24. Dort gibt es das kleine Klickpedal "Eggbeater" von der Firma Crankbrothersfür 450 Euro. Immerhin handelt es sich dabei um den Paarpreis. Und weil der Personenkreis, der fast einen halben Riesen für ein SPD-Pedal hinlegt, eher übersichtlich ist, wird das Produkt für "nur" 249,99 offeriert. Fast ein Schnäppchen. Da kann man schon mal schwach werden. Bei meinen einzigen MTB im Fuhrpark, ein Spezialized Stumpjumper, übersteigt der Pedalpreis den Zeitwert  meines Rades immer noch deutlich. Eggbeater heißt das gute Stück übrigens, weil es aussieht wie ein Schneebesen, und der nennt sich englisch Eggbeater.

Ein paar Klick später stosse ich auf einen Namen, der Bike-Nerds elektrisiert: Chris King. Ein Name wie Donnerhall. Fahrrad-Kult vom Feinsten! Und der kostet. 419 Euro zum Beispiel für einen Steuersatz aus Titan. Aber hallo! Immerhin gibt's 24 Prozent Rabatt. Macht also 316,90 Euro. Bitte, geht doch. Etwas mehr als dreihundert Takken für ein essentielles Bauteile, das es in einfacher Ausführung auch schon für knapp zehn Euro gibt.

Besonders kostspielig sind Teile aus Carbon. Für einen Laufradsatz von Leightweight kann man mal locker knapp 6000 Euro hinlegen.








Oder eine Kohlenstoff-Kurbel. Die kostet die Kleinigkeit von 1200 Euro. Noch Fragen?













Und so geht es munter weiter:
-10-fach-Titankassette für 529 Euro
-Sattel für 525 Euro
-Schnellspanner 170 Euro
-Schaltwerk für 849 Euro
-Carbonbremsen füe 1147 Euro
-Gabel 1297 Euro
-Kette 116 Euro
-Chris King Hinterradnabe 830 Euro
-Vorbau 530 Euro

 Wohlgemerkt handelt es sich hier immer um die Preisempfehlungen des Herstellers. Ausgepreist sind die Teile dann gern mit fettem Rabatt; dennoch bleiben sie in der Regel astronomisch teuer.

Verblüffend auch, was der Vintage-Bereich so hergibt. So kann man eine simple Flügelmutter in den USA für 75 Euro bestellen. Dafür sieht das massive Teil dann auch richtig gut aus.

Klar, überall wo Campa drauf steht wird's teuer. Beispiel Ritzelpaket: Beim franzsösischen Internetversender Velovilles kostet ein 6-Gang-Schraubkranz 399 Euro. Man hätte die Dinger vor 30 Jahren im großen Stil einkaufen sollen.

Aber auch für ein simples Simplex-Schaltwerk werden inzwischen über 100 Euro aufgreufen. Immerhin handelt es sich hier um die edle Version in gold.



Die legendären Campa Delta-Bremsen gibt es für 250 Euro. Das klingt fast billig, allerdings fehlen die Inbusschrauben.

Erstaunliches lässt sich natürlich auch bei E-Bay-Angeboten orten. So wie dieser Dreifachscheinwerfer mit Dynamo von Radsonne. Noch weit vor Auktionsende hatte er schon 22 Gebote. Das letzte lag bei 357 Euro - Ende offen. Absurd hohe Summe werden auch gerne für Klingeldeckel oder Radlaufglocken bezahlt.



















Hochwertig und teuer geht es auch beim amerikanischen Versender Compass Bicycles zu. Diese Firma hat sich besonders hochwertigen Teilen in der Tradition der französischen Manufaktur-Fahrräder verschrieben und hat auch die Rechte am Markennamen René Herse. Die Dreifach-Kurbel kostet mal eben 495 Dollar.

So ziemlich das günstigste Teil ist eine Glühbirne - für 20 Dollar. Wenn's etwas teurer sein darf, spielt Geld eben keine Rolle.



Aus dem Fuhrpark XVII: Vickys wundersame Veränderung

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Traurig lag der Victoria-Rahmen auf einem Fahrradflohmarkt herum. Ein typisches Schlachtopfer im Dornröschenschlaf: keine Laufräder, Kurbeln oder Lenker. Nur Tretlager und Gabel samt Steuersatz und offenbar nachgerüsteter Vorbau steckten in dem mitgenommenen Rohrsatz. Eigentlich Schrott. Und doch: Als ein paar Sonnenstrahlen auf den metallicroten Lack fielen, leuchtete mich das Fahrradskelett plötzlich verführerisch an. Schriftzüge und Embleme waren stellenweise abgeschuppert, hier und da aber ganz okay. Der Lack zwar pateniert, aber er strahlte eine anziehende Qualitätsanmutung ab. Daraus muss doch noch was zu machen sein. Nach kurzer Verhandlung mit dem Verkäufer nahm ich den alten Victoria-Rahmen für 15 Euro mit. Anschließend lag er jahrelang in meiner Werkstatt. So weit die Vorgeschichte. Vor ein paar Wochen kramte ich ihn hervor und machte mich an die Arbeit.
Der Auffindzustand: Dieses Skelett eines Victoria Vicky kostete mich 15 Euro

Ein Singlespeed sollte es werden, möglichst solide, einfach und dennoch attraktiv. Und ganz wichtig: Ich wollte möglichst wenig Kohle in den Um- und Aufbau investieren. Darum krame ich in Kisten und Kartons. Was habe ich noch? Was läst sich für das Victoria verwenden? Schnell sind zwei sehr ähnliche etwas breitere 622-Laufräder aus Alu von Tourenrädern gefunden. Lager auf, säubern, frisches Fett rein - schon laufen die Räder wieder spielfrei und leichtgängig. Aber, wie immer, rund ist anders. Die Dinger eiern. Also ab in den Zentrierständer. Das ist zwar immer eine langwierige Aufgabe, aber eine fast meditavie Tätigkeit, die mich gut "entspannt", auch wenn man den Speichen genau das Gegenteil beibringt.
Anpassen des zentrierten Hinterrades
Schon jetzt nimmt der künftige Singlespeed vor meinem geistigen Auge Gestalt an. Entscheidend für den Charakter eines Rades ist die Reifenwahl, also vor allem Breite und Farbe der Pneus. Nach kurzer Internetrecherche steht fest: weiss in 40er Breite, das macht sich gut am roten Rahmen. Die Schwalbe Little Big Ben kosten bei BOC nur knapp 14 Euro - eine gute, stylische Wahl für mein vorgegebenes Minimal-Budget. Das Freilaufritzel mit 17 Zähnen von Dicta bestelle ich bei CNC. Praktisch ist, dass dieser Online-Versand gute Preise hat und in Hamburg sitzt. Mittwochs und Donnerstags gibt es Selbstabholung. Das Ritzel kostet dort übrigens sieben statt zwölf Euro UVP. Das freut die Geldbörse.

Schwalbe Little Big Ben passen gut
Mit den eher breiten Little-Big-Ben-Reifen war klar, dass das Rad eine Art Halbrenner wird. Auch den dazu passenden Lenker fand ich in meinem Werkstatt-Fundus. Er nennt sich Trainingsbügel, kommt ohne Erhöhung aus und erzeugt so eine sportliche Optik - genau richtig. Manchmal hat man Glück: Lenker-Klemmung passt, also alles festschrauben und schon hat das Rad ein perfektes Frontend.

Probemontage des Little Big Ben-Reifens
Ähnlich reibungslos klappt es mit Sattel und Sattelrohr. Beides findet sich ebenfalls in der Ersatzteilkiste - wunderbar. Alles da, Kosten null Euro. Jetzt macht sich bezahlt, dass ich brauchbares Material gerne vom Flohmarkt mitbringe. Der Sattel ist braun, sieht nach Leder aus, ist aber aus Kunststoff. Natürlich wäre mir ein Brooks lieber. Doch der kostet neu mindestens 70 Euro, gebraucht mit Glück 20. Und ich freue mich ja auch darüber, dass Lagerteile aus dem Lager verschwinden.

Gleiches gilt für den Kurbelsatz. Beim Tretlager handelt es sich um eine Thompson-Version mit Keilachse - 70er-Jahre Massenware also. Darum findet sich auch schnell ein passendes Stahlkettenblatt mit 170er Kurbeln. Einziges Manko: Das Kettenblatt ist stark verbogen; eigentlich auch ein Fall für die Tonne. Doch ich habe ja meinen Recycling-Vorsatz. Darum spanne ich das Blatt in den Schraubstock, drücke und biege daran wie verückt. Ohne Erfolg. Im Gegenteil: Die seitliche Unwucht wird eher schlimmer statt besser. Zum verrückt werden. Hauptproblem ist das richtige Korrekturmass zu finden und das Ergebniss der Biegebemühungen durch Fluchten auf einer ebenen Tischplatte zu kontrollieren. Selbst eine Präzisionschieblehre bringt keinen durchschlagenden Erfolg. Das Kettenblatt eiert auch nach zahlreichen Biegungen immer noch stark. Gibt's doch nicht.

Dann erinnere ich mich an den Trick eines Profimechanikers, der für ein Rennteam schraubt. Der korrigiert ein eierndes Kettenblatt am Rad mit einem Hammer. Ab mit dem Kettenbaltt auf die Keilachse, aber da lauert schon das nächste Problem. Neue Achskeile sind qualitativ mässig, eher weich im Material und der Keilwinkel nicht ausgeprägt genug. Meine neuen Keile passten nicht weit genug durch die Löcher; die Sicherungsmuttern finden folglich nicht genug Futter. Trotz heftiger Hammerschläge kann ich den Keil auf der Antriebsseite nicht weit genug durchtreiben. Beim Festziehen der Mutter ruiniere ich das Gewinde - das ist Pfusch. Wieder raus damit. Mit der Flex arbeite ich den Keil leicht nach; anschließend passt er besser durchs Loch und lässt sich bombenfest mit dem 10er-Ringschlüssel verschrauben - so soll es sein.

Jetzt das Kettenblatt rotieren und die Seitenschläge orten. Dann mit dem Hammer gefühlvoll druff auf die Beulen und siehe da: Das Blatt dreht sich zunehmend runder. Eine absolutes Null-Grad-Ergebnis kriege ich nicht hin, aber das wird auch ab Werk nicht geliefert worden sein. Nach so viel Mühe stellt sich eine gewisse Befriedigung über das erzielte Resultat ein. Natürlich ist es Quatsch so viel Arbeit ins Richten eines Kettenblattes zu stecken. Stahl-Kettenblätter samt Kurbeln und Tretlager gibt es bei E-Bay ab 15 Euro, wenn auch nicht unbedingt in hoher Qualität. Für meinen Zweck hätte so ein Neuteil aber allemal gereicht. Aber Heilemachen ist irgendwie cooler als kaufen und ich wollte ja möglichst wenig investieren.
Dicta-Freilauf mit 17 Zähnen
Langsam wird's: Laufräder drin, Lenker dran, Kurbeln auch. Fahren könnte ich also fast schon, aber nicht anhalten. Das ist gefährlich, ja lebensbedrohend. Darum brauche ich Bremsen, gute Bremsen. Zum Glück habe ich reichlich alte Weinmann-Zangen gesammelt. Für vorne ist schnell ein adäquates Seitenzug-Exemplar gefunden, sogar mit der richtigen Bolzenlänge.

Viel problematischer ist es hinten. Im Original ist das Victoria Vicky, so der offizielle Name, ein Tourenrad mit Torpedo-Dreigang-Nabe, also mit Rücktrittbremse. Eine Aufnahme für eine Felgenbremse gibt es nicht, Canti- oder V-Brake-Anlötsockel schon gleich gar nicht. Aber da ist ein Loch in der Hinterbaustreben-Verstärkung. Ein Montageversuch mit sehr langschenkligen Bremszangen ist unbefriedigend, denn die Bremsschuhe zielen statt auf die Felge auf den Reifen, weil die Entfernung zwischen Bolzen-Montagepunkt und Felgenhorn einfach zu groß ist. Was tun? Antwort: Umkonstruktion der Aufhängung!
Umbau der Hinterradbrems-Aufnahme
Im Baumarkt kaufe ich ein zwei Millimeter starkes Verbindungsmetall in zwei Zentimeter Breite, säge es in der Mitte durch, bohre zwei Befestigungslöcher sowie ein Loch für die Aufnahme des Befestigungsbolzen der Bremszange. Nun montiere ich die beiden Metallstreifen jeweils vor und hinter der Hinterbaustreben-Verstärkung. Sie werden mit zwei M6-Schrauben gesichert. Unter der Verstärkung drücke ich die beiden Streifen nun mit einer Rohrzange zusammen. Da das jeweils dritte Bohrloch nicht exakt fluchtet, muss ich noch mit der Rundfeile nacharbeiten, bis der Bremsbolzen sauber durch passt. In meiner Bremsenkiste finden sich leider überwiegend Vorderradbremsen. Die haben einen langen Befestigungsbolzen mit zu kurzem Gewinde für eine Hinterbaubefestigung, die nur etwa vier Millimeter stark ist. Ich entscheide mich für eine Mittelzugbremse und verlängere mit einem Windeisen das Gewinde auf dem Bolzen - viel Fummelei, doch schließlich passt die (Vorderrad)bremse in der richtigen und effektiven Ausrichtung an den "bremsenlosen" Hinterbau. Macht schon Spaß, manchmal konstruktive Kreativität an den Tag legen zu müssen. Bin gespannt, ob das Ding auch bremst.
Weinmann-Bremse vorn

Nun fehlt noch die Bremsansteuerung, also Züge und Hüllen. Da müssen Neuteile her, denn Züge rosten und funktionieren dann nur "klebrig". Bremshüllen als Meterware und Züge kosten zum Glück nur wenige Euro und kommen meist mit End- und Klemmhülsen. Aber da fehlt doch noch was? Richtig! Bremshebel könnten nicht schaden. Welche passen am besten an den Trainingsbügel. Klar, ich hätte noch ein paar klassische Weinmann-Hebel. Nicht schlecht, aber dann fielen mir die stylischen "Barend-Hebel" ein, die man gerne an englisch angehauchten Sporträdern findet. Die gibt es beispielsweise bei Bike-Mailorder für 25 Euro - ein fairer Preis. Die Dia-Compe DC 188 haben eine Innenklemmung von 22 Millimeter und sollten passen. Ein paar Klicks am Computer und zwei Tage später liegen die beiden Hebel in der Post - manchmal sind Onlineshops ein Seegen.
Montage der Dia Compe DC 188 Barend-Bremshebel

Saugend verschwinden die Bremshebelklemmungen in den beiden Lenkerenden und lssen sich mit einer Inbusschraube bombig befestigen. Die Hebel positioniere ich so, dass sie genau nach unten zeigen; sieht am besten aus, finde ich. Mitgeliefert werden zwei passende Anschlaghülsen für die Hüllen. All das passt prima. Jetzt noch die Hüllen ablängen, durchkneifen, Endhülsen rauf, Züge durchstecken und an den Lochschrauben der Bremsen fixieren. Diese Arbeiten sind Routinesache; nur das schleiffreie Einstellen der Bremse ist wie immer etwas fummelig. Jetzt noch das Bremshebelgefühl und -spannung checken - fertig.

Was noch fehlt ist die funktionale Dekoration, sprich Lenkerband. Weil's klassich sein soll, entscheide ich mich für Korkband des englischen Kultmarke BLB (Bricklane Bikes). Clevererweise verschwinden die Bremshüllen unter dem stramm gewickelten Lenkerband und sorgen für eine cleane Optik rund um den Vorbau - gefällt mir gut. Lenkerband richtig gut zu wickeln, ist eine echte Kunst; ich beherrsche sie nur mässig. Keine Ahnung wie viele Lenker es bedarf, bis man das perfekt hinkriegt. Vor allem auch der Abschluss mit schwarzem Tape will gekonnt sein. Mein Ergebnis ist so lala.  Zum Glück finde ich in einer Kleinteiledose sogar noch zwei passende Schellen fürs Oberrohr, die den hinteren Bremszug fixieren.
BLB-Lenkerband aus Kork für den letzten Schliff


Letzter Arbeitsschritt: die Kette! Das mache ich immer ganz zum Schluss, weil es auch bei nagelneuen Ketten immer schmierige Finger gibt und darunter Rahmen und Reifen leiden. Kette ist wichtig. Kürzlich konnte ich bei einer Haushaltsauflösung mehrere Wippermann Rotstern-Ketten günstig kaufen - genau das richtige für mein Projekt. Die Kette ist noch in Originalverpackung, eingewickelt in Wachspapier und bestens gefettet. Irgendwie wirkt sie hochwertiger als Neuware. Mag täuschen, aber qualitativ strahlt sie höchste Solitität ab. Bei E-Bay wird solche New Old Stock (NOS)-Ware für rund 25 Euro gehandelt.

Nun sind auch die Kette und Pedale dran, das Rad damit fertig. Prüfend blicke ich es an. Wirklich alles fertig? Alles dran? Ja, tatsächlich. Brems- und Kettenspannung stimmen. Der Antrieb arbeitet fast lautlos, die Räder drehen frei. Und auf den Reifen sind 4.5 bar Luftdruck.
Wippermann Rotstern-Kette am mühsam zentrierten Kettenblatt

Zeit für eine grobe Kostenbilanz:
Rahmen 15 Euro
Reifen 28 Euro
Felgenbänder 3 Euro
Freilaufritzel 7 Euro
Bremshüllen und -züge 7 Euro
Bremshebel 25 Euro
Lenkerband 12 Euro
Pedale 10 Euro
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Macht 107 Euro Gesamtkosten an Material. Eine schmeichelhafte Rechnung, da ich viele Alt- und Lagerteile verwendet habe. Ich denke für Antrieb, Lenker, Sattel und Co. sollte man nochmals gut die gleiche Summe veranschalgen. Am Ende kommt also ein stylischer Neuaufbau für rund 200 bis 250 Euro Selbstkosten dabei heraus - vorrausgesetzt man kann selber schrauben. Gibt man das Projekt in Profihände und muss die gängie Stundensätze bezahlen, dürfte die Summe schnell auf das doppelte steigen. Nur mal so zum Vergleich: Bei der Internet-Discountmarke Einzig-Bikes kostet ein stylisches Singlespeed ab 300 Euro. Wie es dann mit Qualität, Dauerhaltbarkeit, Service etc. aussieht? Keine Ahnung. Ist dann eher so eine Art H&M-Fahrrad - Massenware aus China eben, wenig individuell und für den schnellen, nicht nachhaltigen Konsum ausgerichtet.
Die Billig-Pedale sehen gut aus, haben aber schlechte Lager
Nur zwei Kleinigkeiten kann ich noch erledigen: erstens die linke Seite der Hinterachse kürzen. Sie ragt weit aus dem Ausfallende heraus, weil die Nabe einst eine Fünfgang-Schraubkassette für ein Rennrad aufnahm. Zweitens die Achsen mit passenden Flügelmuttern bestücken; würde besser aussehen als einfache Sechskantmuttern. Mal sehen, wo ich die finde.

Ach, und dann fehlt natürlich noch die Probefahrt, der Härtetest für Bremsen und Tretlager. Erfahrungsgemäss ist das immer noch was nachzubessern oder zu optimieren. So bald es wie heute wieder sonnig ist und trocken, geht es los.

Und fertig: Aus dem Victoria Vicky Tourenrad wurde ein ansprechendes Sportrad im Halbrenner-Stil


Nachher...


... und so sieht das Victoria Vicky im Original aus



Rad-Menschen: Sabrina Friedrich radelt für Gesetz und Ordnung

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Sabrina Friedrich von der Polizei-Fahrradstaffel Hamburg
Heute war ADFC Radreisemesse im CCH. Dort kann man neue Fahrräder bestaunen, sich über Reisen nach China mit Bambusbikes informieren oder Cargobikes probefahren. Oder sich mit Mitgliedern der Polizei-Fahrradstaffel unterhalten. Ich habe Letzteres getan und Sabrina Friedrich (32) kennen gelernt. Es wurde ein längeres Gespräch als gedacht.

Sie steht neben einem zerstörten Mountainbike. Sabina Friedrich erklärt Besuchern der ADFC Radreisemesse in den Hamburger Messehallen, was es mit diesem deformierten Fahrrad auf sich hat. "Der Fahrer wurde getötet. Beim Abbiegen geriet er unter einen Lkw", erklärt sie den Umstehenden, die erst interessiert, dann betroffen auf das Unfall-Fahrrad blicken.


Abschreckung: Dieses Mountainbike erlebte einen tötlichen Unfall
Die rechte Hinterbaustrebe ist extrem deformiert, das Antriebsrad aus den Ausfallenden gerissen, Speichenenden ragen wie Igelstachel spitz in die Luft, vorne baumelt der abgebrochene Lenker nur noch vom Bremskabel gehalten in der Luft. Ein trauriges Bild. Nein, ein schockierendes Bild. Und genau das soll dieses Fahrrad: Es soll schockieren, abschrecken, warnen und aufrütteln.

Immer wieder muss Sabrina Friedrich die schreckliche Geschichte dieses Rades heute wiederholen; immer wieder die gleichen Fragen beantworten. Das ist Teil ihrer Aufgaben bei der Fahrradstaffel in Hamburg. Es geht um sicheren und damit besseren Radverkehr in der selbsternannten "Fahrradstadt Hamburg". Darum hat diese kaum bekannte Abteilung der Polizei einen kleinen Stand in der Hallenecke eingerichtet, der gut besucht wird.
Die Fahrradstaffel informiert auch über Diebstahlschutz

Aber was macht die Fahrradstaffel im Alltag? "Wir sind präventiv unterwegs, melden schadhafte Radwege oder Gefahrenschwerpunkte, kontrollieren sowohl Fahrrad- als auch Autofahrer", erklärt Sabina Friedrich. Und wenn es der Zufall will, beteiligen sich die Pedal-Polizisten auch an der Verbrecherjagd. Kein Zweifel: Einer Metropole wie Hamburg steht eine besattelte Copabteilung gut zu Gesicht, einer Möchtegern-Fahrradstadt sowieso.

Um so erstaunter bin ich, als Fahrradpolizistin Friedrich mir erzählt, dass die Staffel nur zehn Beamte umfasst, im Winter sogar nur fünf. Das ist viel zu wenig, meine ich. Die Fahrradstaffel sollte viel größer, damit sichtbarer sein und wo möglich die Streifenwagen ersetzen. Das hätte gleich mehrere positive Aspekte:
-mehr Verkehrssicherheit
-mehr Disziplin und Regeltreue der Fahrrad- und Autofahrer
-positive und symphatische Darstellung der Poizeiarbeit
-Kostensenkung durch Einsparung von Streifenwagen-Kraftstoff
-Umweltschutz durch Co2- und Schadstoffausstoss-Reduzierung

Zur Bekämpfung typischer Kleinkriminalität wie Taschen- oder Fahrraddiebstahl, Verfolgung illegaler Hütchenspieler und Drogendealern ist das Fahrrad dem Auto ohnehin weit überlegen. Ich behaupte mal, dadurch könnte die Polizei ihre Aufklärungsrate verbessern. Denn wie ich von Sabrina Friedrich erfahre, hat auch ein Fahrradpolizist bei Einsätzen Sonderrechte, darf also beispielsweise  bei rot über Ampeln fahren. Blaulicht und Martinshorn ist dafür nicht nötig und würden an einem Polizeifahrrad vielleicht auch lächerlich wirken.

Zum Schluss noch eine Frage an Sabrina Friedrich: "Würden Sie privat an der Critical Mass (CM) teilnehmen?", will ich wissen. Ihre Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: "Nein, denn dann würde ich eine Ordungswidrigkeit begehen", sagt sie. Aus Polizeisicht ist die CM nämlich jedes Mal eine nicht angemeldete Demo, Teilnehmer begehen also eine Ordungswidrigkeit. Als Beamtin könne sie sich das nicht erlauben. Dennoch ist Sabrina Friedrich bei der CM fast immer dabei. In einem der absicherten Schlussfahrzeuge der Polzei nämlich. Die Fahrradstaffel hat ihe Augen auch ihr auf Hamburgs Fahrradszene gerichtet.

Sabrina Friedrich mit Polizei-Dienstfahrrad
Wie erwähnt: Ich finde diese Polizeiabteilung und -arbeit sehr gut und ausbaubedürftig. Darum wünsche ich mir sehr, dass der neue (und fahrradaffine) Innensenator Andy Grote, die Polizeiführung und die neue Fahrradkoordinatorin Kirsten Pfaue sich für eine personelle Aufstockung dieser wichtigen Abteilung einsetzen. Auch beim Material wäre es nicht schlecht, wenn die Polizistinnen und Polizisten neben Bikes mit spezieller Rohloff-Polizeinabe auch auf Pedelecs und E-Bikes zurück greifen könnten. Sonst dürfte die Verfolgung elektrisierter Verkehrssünder schwer werden.

Le Velo Cafe: Wie ein kostenloser Museumsbesuch

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Was tun bei Regen im März? Was Warmes trinken und alte Fahrräder angucken natürlich. Wer diese Kombination schätzt wird im Hanseviertel fündig. Dort hat der Fahrrad-Restaurierungsbetrieb Le Velo ein Fahradcafe etabliert, das einen Besuch lohnt.

Dieser Mini Pickup beherbergt die Keffeemaschine
Ursprünglich als Popup-Store gestartet ist der kleine Le Velo-Laden in der edlen Einkaufspassage inzwischen zu einer dauerhaften Einrichtung geworden. Die historischen Räder stehen vorm und im Laden. Wer sich für alte Fahrradtechnik und -details interessiert, kann hier sehr gut Zeit verbringen.
Einspur-Fahrradanhänger von einst




Bächerfahrrad aus Urgroßvaters Zeiten


Ständig sind mehrere spannende Räder ausgestellt. Dazu gibt es an den Wänden historische Sportberichte zu lesen - nein, langweilig wird es hier nicht. Ich fühle mich wie in einem Museum, und das ohne Eintritt zu zahlen. Im Cafebreich werden zu all dem leckere Capuccinos und andere Spezialialitäten aufgebrüht - das ist ein gelungenes Konzept, auch wenn die Preise nicht eben niedrig sind. Tische, Tassen und Töpfe sind jedenfalls mit Geschmack ausgesucht und passen perfekt zum historischen Flair des Le Velo-Cafés.
Tigra-Rennrad

Wie erwähnt: Bei schlechtem Wetter oder für eine kurze Pause im Innenstadt-Stress ist das Cafe ein netter Ort der Erholung - ganz besonders für Farhrradfreaks. Auch T-Shirts, Holzpedale und Ledertrageriemen gibt es bei Le Velo zu kaufen - allerdings muss man diesen speziellen Reproduktionsstil mögen und bereit sein, stattliche Summen für die Teile zu bezahlen. Aber die Kundschaft scheint es ja zu geben, sonst wäre der Laden sicherlich nicht mehr an diesem Premium-Standort.





Sportrahmen der Triumph Werke aus Nürnberg

Typisches Exponat bei Le Velo

Zeha-Schuhe aus Berlin mit Le Velo Branding

Holzpedale, Kostenpunkt 59 Euro


Suchen, sammeln, stöbern: Termine der Hamburger Fahrradflohmärkte

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Fahradflohmärkte sind eine geniale Sache und in Hamburg gibt es eigentlich viel zu wenige davon. Hier findet man günstige, seltene, stylische Gebraucht-Fahrräder und Teile zu fairen Preisen. Doch wann und wo sind diese Märkte? Da es nirgends eine komplette Terminübersicht für Hamburg und Norddeutschland gibt, trage ich die Daten an dieser Stelle chronologisch zusammen und ergänze sie bei Bedarf. Dazu gibt es kurz meine persönliche Einschätzung des jeweiligen Marktes.
Fahrradflohmarkt im Haus 3 hamburg-Altona


-19. März: Fahrradflohmarkt bei Fahrrad XXL Marcks in Bergedorf:Regelmässiger Flohmarkt auf dem Parkplatz des großen Fahrradgeschäftes. Keine Standgebühr. Sachlicher Markt mit größtenteils praktischen Gebrauchträdern, wenig Flair, keine Gastronomie, findet acht Mal im Jahr statt, mehr Info.
-30. März:Oldtimermarkt Brokstedt, südwestlich von Neumünster. Großer Markt hautsächlich für motorisierte Fahrzeuge, aber auch gutes Fahrradangebot, speziell echte Veteranen und Sammlerräder, wenig Gebruchsfahrräder. Mehr Info.
-16. April: Fahrradflohmarkt Marcks XXL
-23. April: ADFC Flohmarkt Gut Karlshöhe: Stimmungsvoller Markt mit großem Angebot in HH-Farmsen, gutes Angebot an Kinderrädern und Zubehör, Klassiker, seltener Rennräder und BMX, Gastronomie mit schmackhafter Bock- und Bratwurst, sehr gut besucht, schönes Gelände mit Freizeitmöglichkeiten für die Familie, Schau-Schmiede, keine Standgebühr, ADFC-Infostand, mehr Info.
-30.04: Fahrradflohmarkt auf der Radrennbahn Stellingen: Zusammenarbeit mit dem ADFC, Stände werden rund ums Oval aufgebaut, beengte Platzverhältnisse, sehr gut besucht, bei schlechtem Wetter angenehm, da überdacht, gutes Angebot and Rennrädern und -teilen, üppige Gastronomie, Aussteller aus der Fahrrad-Start-Up-Szene, Bahnfahren für alle.
-21. Mai: Fahrradflohmarkt Marcks XXL
-28. Mai: Fahrradflohmarkt im Haus 3: Schönster Fahrradflohmarkt in Hamburg, parkartiges Ambiente, Kooperation mit den Altonaer Bicycle Days, einfache Gastronomie, gutes Angebot an Raritäten und Rennrädern, seltene Teile und Schnäppchen.
-18. Juni: Fahrradflohmarkt Marcks XXL
-16. Juli: Fahrradflohmarkt Marcks XXL
-13. August: Fahrradflohmarkt Marcks XXL
-17. September: Fahrradflohmarkt auf der Radrennbahn Stellingen.
-Oktober 2016: Fahrradflohmarkt im Haus 3 Altona.
-08. Oktober: Fahrradflohmarkt Marcks XXL
-03. Dezember: Fahrradflohmarkt Marcks XXL

Weitere Terminhinweise und -tipps bitte per E-Mail oder Kommentarfunktion an mich. 

Berliner Fahrrad Schau 2016: Größer, voller, bunter, aber auch besser?

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Bunt bis schräg: Auffällige Fahrräder liegen im Trend
Voller, größer und bunter denn je. Das ist mein Eindruck von der diesjährigen Berliner-Fahrrad-Schau (BFS), die ich für die schönste Bike-Messe weit und breit halte. Ob Aussteller, Ausstellungshallen oder Rahmenprogramm – seit Jahren hat die BFS ein besonders Flair. Aber es gibt auch Kritik. Meine BFS-Bilanz.

 Wo anfangen? Und vor allem: wann? Das sind die Fragen, die sich mir dieses Jahr bei meinem Besuch der BFS stellten. Denn wie im Jahr zuvor ist die BFS nicht mehr nur eine Wochenend-Ausstellung, sondern zur sogenannten Berlin Bicycle Week angeschwollen. Eine ganze Woche lang gibt es in Berlin-Fahrrad-Action wie Mauerwegtouren per E-Bike, Holistic Cycling (eine Art Fahrrad-Yoga) oder die lange Nacht der Bike-Shops. Kurzum: Für eine Woche wird die deutsche Hauptstadt zur europäischen Fahrrad-Kapitole.  Darum: Wo anfangen. Und wann?


Ich entscheide mich für Freitagnachmittag mit einem Besuch auf dem Tempelhofer Feld. Hier ist ein Cargobike-Spektakel angesagt: Das zweite Berliner Lastenradrennen steht auf dem Programm – ziemlich genau mein Geschmack. Würde mich nicht wundern, wenn das in den nächsten Jahren zu einem internationalen Großevent anwächst. Noch geht es familiär zu.

Rund 50 Cargobiker sind am Start; aber international ist das Ganze schon. Die Startflagge schwenkt Friis Arne Petersen, dänischer Botschafter in Berlin. Cargobikes seien quasi eine Kopenhagener Erfindung, meint Petersen und wird in seiner Eröffnungsrede sogar politisch: „Ich war vorher Botschafter in China und bedaure, dass die Chinesen ihre Fahrradkultur zugunsten deutscher Autos opfern!“ Ups, ein Seitenhieb auf die PS-Industrie. Der Mann hat Recht. Wie radikal sich die Volksrepublik dem Fahrrad ab- und dem Auto zuwendet macht traurig.
 
Cargobike für den Nachwuchs
Aber dann wird es zum Glück lustig: Die Rennen gehen über die Bühne. Jeweils vier bis sechs Cargobiker treten gegeneinander an. Eine Runde wird ohne Last gefahren, dann werden die Transporträder mit Zeitschriften, Posterrollen und anderen Frachtstücken beladen und es gilt, nochmals zwei Runden auf der rund 300 Meter langen Strecke zu absolvieren. Nicht nur die Kraft in den Beinen entscheidet, sondern das Beladen des Bikes will gekonnt sein, damit das Gepäck nicht verloren geht.
 
Hans Bullitt justiert die Sattelhöhe am Leih-Bullitt
Dabei kommt es zu sehenswerten Zweikämpfen, lustigen Pannen und sportlichen Höchstleistungen. Die Teilnehmer stammen überwiegend aus der Berliner Kurierszene, aber auch Cargobike-Lobbyisten wie Arne Behrensen und Lastenrad-Prominenz steht am Start. Hans Bullitt persönlich zeigt, was das gleichnamige Transportrad als Sportgerät drauf hat. Ein eigenes Bullitt hat Hans nicht dabei. Wozu auch? Es stehen ja genug Bullitts auf dem ehemaligen Flughafen herum und Hans leiht sich kurzerhand ein Bike aus – Cargobiker sind halt eine Familie.
Ach, gewonnen hat auch irgend jemand. Wer? Unwichtig! Den Cargobikefans geht es hauptsächlich um die Botschaft, dass Lastenräder ideale Stückgut-Transporter für die Stadt sind. Auftrag erfüllt! Lastenräder gewinnen stark an Popularität.

Das war ein gelungener Auftakt für den Messebesuch. So darf es weiter gehen. Tut es auch. Am Abend! In den Hallen am Gleisdreieck. Um 18 Uhr wird die eigentliche BFS eröffnet und die Ausstellung ist gut besucht. Es ist die Mischung aus neuen Fahrrädern, Mode, Zubehör, Technik, Dienstleistungen, Skurilitäten und Partystimmung, die anziehend wirkt. Locker mit der Bierbuddel in der Hand um die Stände ziehen – wo gibt es das sonst? Dieses Messekonzept sorgt für maximale Lockerheit. Das kommt an. Große internationale Bikehersteller direkt neben Einman-Betrieben und ehrgeizigen Start-Ups, winzige Modelabels neben High-Tech-Firmen, Berliner Fahrradsubkultur neben kommerziellen Mainstream, dazu Flohmarkt, Kinder-Kiez und allerlei Aktionen – all das trifft offenbar den Zeitgeist so gut, dass die BFS einen neuen Besucherrekord feiert. Dazu noch die Sportszene mit BMX- und Trailwettbewerben, Bikepolo und Kunstradfahren sowie Ausstellungen – mehr buntes Fahrradtreiben gibt es nirgends.           

In Zahlen ausgedrückt: 365 Marken, 4000 Quadratmeter Fläche in sechs Hallen, gegenüber 2015 hat sich dadurch die Besucherzahl fast verdoppelt, heißt es seitens der Veranstalter. Ein großer Erfolg also, diese BFS.
 
Messe mt viel Flair: die Berliner Fahrrad Schau
Trotzdem bleibt es schwierig, den Markt zu analysieren. Wohin steuert die Bikebranche? Was ist nachhaltig? Was Eintagsfliegen? Letztlich basiert dieses Urteil auf subjektiven Beobachtungen und Bauchgefühl. Hier kommen die Trends, die auf der BFS zu beobachten waren. Einige werden bleiben, andere schnell wieder verschwinden. Und wenn ich mich irre, umso besser.

Trend 1: E-Fahrräder
Klar, Pedelec und E-Bikes sind buchstäblich der Motor der Bikebranche. Das war auch in Berlin zu sehen. Elektrifizierte Fahrräder hatten einen eigenen Ausstellungsbereich, der aber für die Bedeutung dieses Segments eher klein ausfiel. Neben der Integrierung der Antriebstechnik in den Rahmen wächst die Zahl jener Anbieter, die E-Nachrüstlösungen für normale Fahrräder wie beispielsweise die Firma Relo auf den Markt bringen. Ob sich das durchsetzt, darf bei Preisen ab zirka 2000 bezweifelt werden. Auch optisch ist ein nachträglich ans Tretlager angeflanschter Hilfsantrieb fragwürdig.
 
Nachträglich installierter Tretlager-Motor









Trend 2: Fahrräder als Holz
Gefühlt präsentierte fast jeder vierte Stand ein Holzfahrrad. Bambusbikes - die ja eigentlich nicht aus Holz, sondern Gras sind - kennen wir ja schon seit ein paar Jahren. Nun aber kommen immer mehr Bikes aus Schicht- und anderen Hölzern dazu. Ich frage mich: Was soll das? Warum ein Fahrrad aus Holz? Oft gehörte Antwort: „Ist nachhaltiger als anderes Material, verschlingt in der Herstellung weniger Energie...“  Öko eben. Und natürlich sauauffällig und das scheint mir die wahre Triebfeder für den Holztrend zu sein. Stahl, Alu, Titan, Carbon... – alles alt(bewährt) und langweilig. Wer wirklich anders sein will, fährt Holz. Bitteschön, aber ohne mich. Für mich sind Holzfahrräder auf dem Holzweg.

Trend 3: Retrobikes
Nicht ganz neu, aber immer noch vielerorts zu sehen: Fahrräder mit klassischen Rahmen und Lackierungen, aber moderner Technik. Diese Youngtimer ab Werk scheinen sich im Fahrradhandel nachhaltig zu etablieren. Auffällige Farben und Details wie gehämmerte Schutzbleche ziehen Kunden an. Gut so, denn diese Fahrräder machen nicht nur Freude sie anzuschauen, sondern dank zeitgemäßer Komponenten auch zu fahren. Beachtlich fand ich vor allem das Portfolio der kalifornischen Firma Electra, die es gut versteht, zweirädrige Lebensfreude unters Fahrradvolk zu bringen. Demnächst sogar mit einem eigenen Flagshipstore in Hamburg.
 
Retrostyle ist nach wie vor gefragt









Trend 4: Lastenräder
Sie sind ein Wachstumsmarkt mit immer neuen Konstruktionen. Ob als Kurierfahrzeug, für den Kindertransport, als Coffee-Bike oder Reiserad – das Segment wächst sichtbar und wird auch in Deutschland mehr und mehr Freunde finden. Vor allem elektrifizierte Cargobikes könnten dafür sorgen, dass diese Fahrradgattung sich zunehmend als Alternative zum (Zweit-)Pkw etabliert.

Trend 5: Handbuilt
Teure Maßrahmen vom Lötkünstler sind eine wachsende Marktnische. Das „Fahrrad fürs Leben“ gewinnt nicht nur bei passionierten Langstrecklern an Bedeutung, sondern auch als Statussymbol bei Schönwetter-Fahrern, deren Motivation sich überwiegend aus Besitzerstolz eines urbanen Trendartikels speist.
 
Massrahmen werden beliebter









 Trend 6: Velo Couture
Fahrradfashion ist ein Glanzlicht der BFS. Eine ganze Halle ist für Austeller reserviert, die Bikemode anbieten. Natürlich, es geht um den Look auf dem Rad, aber auch um Funktion. Reflektierende Textilien, wasserabweisende Stoffe, Röcke zum Radfahren – all das war erneut auf der BFS zu sehen. Das Thema bleibt sicherlich heiß. Sehr schön war wieder der Stand von Race Baby – eine Firma, die Strampler, T-Shirts, Trikots und Mützen für Klein(st)kinder anbietet.
 
Satnd von Race Baby
Ganz klar: Heute ist es wichtig, mit und auf dem Fahrrad gesehen zu werden. Grelle Warnwesten aus dem Pkw-Kofferraum sind für mich der falsche Weg. Das geht schöner und ist eine schöne Spielwiese für Designer, die sich vor allem auch genderspezifisch definieren können.

Gutes Stichwort: Anders als beim Auto, nehmen Velo-Konstrukteure fast seit Erfindung des Fahrrades auf die anatomischen Besonderheiten von Frau und Mann Rücksicht. Trotzdem oder vielleicht gerade darum gilt das Fahrrad als emanzipiert. Nicht die, nicht der, sondern das Bike ist zumindest im deutschen Sprachgebrauch ein Neutrum und passt damit bestens in die Zeiten der Gleichberechtigung.

Warum ich so weit aushole? Ganz einfach: US-Firma Spezialized sorgte auf der BFS für einigen Aufruhr mit der Präsentation einer E-Bike-Edition in Zusammenarbeit mit dem Playboy. Es wirkte oldstylish und deplatziert, dass dieses Rad von zwei jungen Damen im Bunnykostüm beworben wurde. Denk nicht nur ich. Sondern durch die sozialen Netzwerke fegte ein kleiner Shitstorm angesichts der sexistisch empfundenen Präsentation. Aber war das vielleicht genau Sinn der Aktion? Hauptsache im Gespräch sein? Nun ja, bei Twitter beklagten vor allem Frauen, dass diese altbackene Bewerbung nicht zum modernen Markenbild von Spezialized passen würde. Der Kollateralschaden für die Firma wird sich in Grenzen halten.

Wichtiger halte ich kritische Stimmen und Warnungen, dass die BFS insgesamt auf dem Weg zu einer reinen Hippster-Messe ist. 21 Euro Eintritt fürs Zweitage-Ticket, hohe Standgebühren und zu viel Anziehungskraft aufs Szenevolk, dass eigentlich nicht viel fürs Fahrradfahren übrig hat, sind einige der Vorwürfe, die ich am Rande der Messe vernehmen konnte. Mag sein, dass das Konzept velophilen Puristen der alte Schule zunehmend auf den Geist geht. Der Besucheransturm vor allem am regnerischen Sonntag gibt den Machern aber recht. Gegen Mittag wartete eine sehrt lange Schlange auf Einlass. Kein Zweifel: Fahrradfahren ist in. Auch bei Leuten, die bisher mit Fahrradfahren und mit Fahrradfahrern nicht viel am Hut hatten. Das ist nicht schlecht. Im Gegenteil: Das ist gut. Rückt es doch das Rad noch weiter in die Mitte der Gesellschaft.

Interview mit Hamburgs erfolgreichsten Fahrrad-Verkäufer: "Über Kinder freue ich mich besonders"

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Ralf Heitmann versteigert seit 2005 Fahrräder
Ralf Heitmann (58) ist Auktionator im zentralen Fundbüro der Stadt Hamburg. In Altona versteigert er bis zu 16 Mal im Jahr Fahrräder zu Schnäppchenpreisen. Das macht ihn nicht nur zum originellsten Fahrradverkäufer der Stadt, sondern auch zum erfolgreichsten. Im Interview verrät er Details seines spannenden Jobs und gibt Tipps, wie man an ein günstiges Fahrrad kommt.






"Zum Ersten, zum Anderen...... und zum Letzten." Rund 200 Mal wird Ralf Heitmann diesen Satz am heutigen Tag in sein Mikrofon sagen. Er sitzt auf einem blauen Barhocker erhaben auf einer Bühne. Showtime im Fundbüro! 

Wer will dieses Trekkingrad haben", fragt Heitmann. Das Publikum reckt die Hälse. Neben ihm präsentiert sein Kollege ein gut erhaltenes Herrenrad mit zehn Gängen. "Fünfer! Bietet jemand fünf Euro?" Heitmann blickt in die Runde. "Niemand fünf Euro?" Plötzlich zeigt er nach hinten: "Da, fünf Euro!" Und dann geht es Schlag auf Schlag: Fünf, zehn, elf, zwölf, 13, 14, 15, 16, 17..., wie ein Maschinengewehr rattet Heitmann die Zahlen runter. "42 Euro...- zum Ersten, zum Anderen, zum Letzten. Zwoundvierzig Euro für den Herrn in der Mitte.

Und so geht es weiter und weiter, etwa zwei Stunden lang - bis das letzte Rad unterm Hammer ist. Hier im Blog habe ich bereits einmal über die Auktion im Fundbüro berichtet. Der Beitrag gehört zu den meist geklickten Themen. Kurz vorm Start der März-Versteigerung konnte ich mit Ralf Heitmann über seinen spannenden Job zu reden.

St-Pedali: Herr Heitmann, 16 Fahrrad-Auktionen á 200 Räder macht über 3200 Fahrräder im Jahr, die sie unter die Leute bringen. Sind Sie Hamburgs erfolgreichster Fahrrad-Verkäufer?
Heitmann (lacht): Ja, das kann gut sein. Hab ich noch nie drüber nachgedacht. Doch, ja, wahrscheinlich bin ich das wirklich.
St-Pedali: Sie sind also gelernter Auktionator?
Heitmann: Nee, ich bin ausgebildeter Kfz-Mechaniker, war bei der Bundeswehr und bin dann Mitarbeiter im Fundbüro der Stadt Hamburg geworden. Seit 2005 machen ich alle Fundsachen-Versteigerungen.
St-Pedali: Wenn ich das jetzt nochmal hochrechne, macht das in elf Jahren mehr als 35000 verkaufte Räder. Das ist vielleicht sogar Weltrekord.Woher kommen die Räder eigentlich, die sie im Fundbüro auktionieren?
Oldschool: Schild am Eingang

 400 herrenlose Fahrräder pro Monat

Heitmann: Die stammen aus den Beständen der Polizei, also aus den einzelnen Revieren. Es sind meist klassische Fundstücke, die keinem Eigner zugerechnet werden können. Beschwert sich ein Anwohner beispielsweise über ein lange unbenutztes Rad, das einen Durchgang behindert, holt es die Polizei ab. Bis zu 400 herrenlose Fundfahrräder kommen auf diese Weise pro Monat in Hamburg zusammen.
St-Pedali: Aber was ist, wenn der Eigentümer dennoch plötzlich auftaucht? 
Heitmann: Die Polizei bewahrt herrenlose Räder sechs Monate auf. In dieser Frist können es die Besitzer zurück bekommen. Passiert das nicht, wandern die Räder anschließend zu uns ins Fundbüro und...
St-Pedali: ... und werden dort überholt, gewartet und kriegen eine Gebrauchtrad-Garantie?
Heitmann (lacht laut): Nein, nein! Wir machen nichts an den Rädern. Sie sind nicht auf Verkehrssicherheit und Vollständigkeit geprüft. Fundstücke werden versteigert wie besehen. Zurücknahme ist nicht möglich.
St-Pedali: Was passiert, wenn der ursprüngliche Eigentümer sein Fahrrad unterm Hintern eines Anderen entdeckt, der das Rad ersteigert hat, und es der Vorbesitzer nun zurück haben will?
Heitmann: Der Ersteigerer darf es in jedem Fall behalten. Er sollte die Quittung an den angeblichen Eigentümer weiter reichen und dieser kann, wenn er den rechtmässigen Ex-Besitz glaubhaft macht, sich von uns die erzielte Summe auszahlen lassen.

Die Versteigerungshalle ist inzwischen mit etwa 100 Leuten gefüllt. Konzentrierte Augen  wandern über die Absperrgitter auf die dahinter dicht an dicht abgestellten Räder. Mehr Begutachtung ist nicht möglich. Die Blicke verraten eine nervöse Spannung. Pockerface ist angesagt: Wer wird auf mein ausgegucktes Rad noch bieten? Der Typ da vorne? Oder der Blaumann ganz hinten? Oder das Mädel mit den Handy? Kein Zweifel: Versteigerungen sind eine spannende Sache, für die man Nerven braucht.

St-Pedali: Versteigern sie alle Räder, die bei ihnen angeliefert werden?
Heitmann: Nein, ein Teil geht an gemeinnützige Einrichtungen wie die internationale Jugendhilfe. Dort arbeiten straffällig gewordene Jugendliche an ihnen. Das hilft bei der Integration von Problemfällen.
St-Pedali: Wie hoch war das Sieggebot für das teuerste Rad, das sie versteigert haben?
Heitmann (antwortet blitzschnell): 900 Euro, ein Mountainbike.
St-Pedali: Und wie hoch ist der Durchschnittspreis?
Heitmann: Rund 50 Euro.
St-Pedali: Gibt es typische Bieter?
Heitmann: Oft sind Kinder mit ihren Eltern da und suchen ein Rad für die Freizeit oder Schulweg. Es gibt aber auch Bieter auf Schnäppchenjagd, die ersteigerte Räder mit Gewinn weiterverkaufen wollen - zum Beispiel auf dem Flohmarkt. Dazu Studenten, die ein billiges Transportmittel brauchen.
St-Pedali: Welche Bieter machen am meisten Spaß?
Heitmann: Kinder, ganz klar. Sie dürfen mit Mamas oder Papas Erlaubnis mitbieten. Und wenn sie mit glänzenden Augen auf ein kleines Mountainbike oder BMX steigern, behalte ich die genau im Auge. Das macht große Freude, besonders wenn sie den Zuschlag kriegen. Dann kommt schon mal ein Freudenschrei aus den kleinen Mündern - wirklich rührend.
Auktionator Heitmann in Aktion: Versteigerung von Fahrrädern im Fundbüro
St-Pedali: Was passiert mit dem eingenommenen Geld?
Heitmann: Das fließt in die Stadtkasse.
St-Pedali: Neben den normalen Auktionen, gibt es auch noch Fahrrad-Sonderversteigerungen. Was ist der Unterschied?
Heitmann: Das sind Veranstaltungen, bei der wir besonders gute und höherwertige Räder versteigern.
St-Pedali: Wann und wo sind die?
Heitmann: Die nächste Sonder-Fahrradversteigerung ist am 13. April um 14 Uhr im Atrium beim zentralen Fundbüro. Eine weitere Auktion im Rahmen der Cyclassics auf dem Rathausmarkt am 20. August um 11 Uhr.
St-Pedali: Und die weiteren regulären Termine?
Heitmann: 27. April, 18. Mai, 8. Juni, 22. Juni, 31. August, 28. September, 12. Oktober, 9. November, 23. November und 7. Dezember. Aber bitte immer kurzfristig im Internet kontrollieren. Einige Versteigerungen finden unter Vorbehalt statt.
St-Pedali: Herr Heitmann, vielen Dank für dieses informative Gespräch.

Dann geht er aufs Podium und beginnt pünktlich um zehn Uhr mit der Auktion. Für mich war es die Auktionsnummer vier, auf die ich dieses Mal spekuliere. Ein weinrotes Kaufhaus-Rennrad von Fischer. Es sieht ganz gut erhalten aus. Kann ich ein Schnäppchen machen? Heitmann feuert los: "Fünf, zehn, 15, 20...., 40..." Die Gebote werden rarer. "50! Jemand mehr als 50? 50 zum Ersten, 50 zum Anderen... ." Schnell hebe ich die Hand. "55! Da sind 55." Heitmann zeigt auf mich. "55 zum Ersten, zum Anderen und zum Letzten." Ich habe den Zuschlag. Ein fast fahrbereites Rennrad für 55 Euro. Nicht schlecht. Klar, gut 100 Euro muss ich noch investieren, um aus der Fundsache ein echtes Schmuckstück zu machen. Aber das ist okay. Ab zum Schalter, bezahlen, Quittung an der Abholung vorlegen und Rad mitnehmen, fertig. Ich bin rechtmässiger Eigner einen weiteren Rades. Für 55 Euro!



Und wie Heitmann im Original klingt, hört Ihr hier:

Rundfunkfeature: Intellektuelle Betrachtungen zum Radfahren in der Großstadt

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Zum Glück gibt es den Deutschlandfunk (DLF). Da weiß man, was man hat. Und wofür wir Rundfunkgebühren bezahlen! Jetzt hat mein Lieblingssender ein dreiteiliges Radiofeature veröffentlicht, das sich mit Radfahren und Mobilität beschäftigt. Ein hörenwertes Werk!
Aber Achtung: Autor Johannes Ullmaier neigt zu sprachlichen Kapriolen und intellektuellen Schwurbelleien, ganz ähnlich wie der kürzlich viel zu früh verstorbene Roger Willemsen. Ich mag diesen Stil und solche Texte. Vor allem wenn sie so meisterhaft vorgetragen werden, wie von dem DLF-Sprecher. Ein echter Hörgenuss also.

In Teil 1 beschäftigt sich der Autor mit den Radfahren in der autogerechten Stadt in den 80er Jahren. Mit genauem Blick auf die Details und Auswirkungen bettet Ullmaier das Verkehrsmittel Fahrrad in einen gesellschaftlichen Kontext. Das hat - wie erwähnt - eine ziemlich intellektuelle Note. Kostprobe: "Überleben geht vor Rechtbehalten." Die Zwangsmoral der Ohnmacht, des geringeren Impulses. Leider auch Brutstätte für Spießer-Paranoia: "Immer komme ich zu kurz! Nie zu meinem Recht!"Dramaturgisch ist das Feature als eine konkrete Radfahrt durch die Stadt aufgebaut. Roter Faden ist der Weg zur Arbeit, der immer wieder von abstrakten Gedanken zur Verkehrsplanung und gesellschaftlichen Betrachtungen unterbrochen wird - ein Feature in bester journalistischer Tradition.

Teil 2 widmet sich dem Radfahren in der Gegenwart. Ullmaier wird dabei stellenweise (un)gewollt ironisch, wenn der Unterschiede zur Situation vor 30 Jahren herausarbeitet. Wieder fixiert er mit feiner Beobachtungsgabe das Radfahrer-Milieu und geht kenntnisreich in die Einzelheiten. Herrlich, wie er sich und uns den Spiegel vorhält.

Teil 3 folgt am 3. April um 9.30 Uhr. Zum Nachhören findet man die Beiträge für eine begrenzte Zeit in der Mediathek hier: http://www.deutschlandfunk.de/gegenwartsgedraenge-mit-dem-fahrrad-durch-die-stadt.1184.de.html?dram:article_id=345085

Und wer Teil 1 gerne lesen will, bitteschön: Hier der Text:

Radfahren wirkt in der modernen Autogesellschaft wie ein Relikt aus vergangener Zeit. Die große Herausforderung: Zwischen tausenden von Fahrzeugen und Fußgängern galant und ohne Schrammen ans Ziel kommen. Jede einzelne Fahrt ist dabei ein Abenteuer - so erlebte ich das Stadtradfahren in den 80er-Jahren.

Ein David unter Goliaths. Oder zwischen Fussgängern. Ein Goliath unter Davids.
In jeden Fall muss ich geschickt sein und so fahren, als wäre ich gar nicht da. Ohne Rechte, ohne Regeln. Möglichst unsichtbar. Und mit dem Mut zur Lücke.
Jede Fahrt ein kleines Abenteuer. Jede Nichtberührung eine kleine Heldentat. Leider scheint es mit der eigenen Unsichtbarkeit oft für die anderen nicht weit her. 

Phase Rot: Gestern. Ich muss von A nach B und gehe zu meinem Rad. Es lehnt im Hinterhof an der Garagenwand. Eine Verwandte hat es mir vor Kurzem freundlich überlassen, nachdem das vorige, das ich für 20 Mark vom Flohmarkt hatte (und der Händler von wer weiß wo), mir gestohlen wurde - und das davor, das Rennrad meiner Jugend, endgültig zu Bruch gegangen war.
Dieses ist ein Alu-Damenrad, noch ziemlich gut in Schuss. Es ist nicht abgesperrt, aber um den Lenker hängt ein Zahlenschloss. Im Losrollen schwinge ich mich auf den Sattel und fahre durch das offene Gittertor der Hofeinfahrt - über den gerade freien Bürgersteig - auf die, wie meist am frühen Vormittag, wenig befahrene Straße.
Vor mir der gewohnte Weg zu meiner Ausbildungs- bzw. Bildungsstätte, je nach Perspektive. Eine Nutzfahrt quer durch eine durchschnittliche deutsche Mittelstadt, ein Parcours mit allem, was dazugehört: Kreuzungen, mit oder ohne Ampel, ein Wohngebiet mit Durchgangsstraße, Zebrastreifen, Kopfsteinpflaster, auch ein kurzes Radwegstück; eine mehrspurige Hauptstraße; eine Steigung, eine Baustelle und eine Abfahrt, die in eine Kreuzung mündet.
Schließlich ein großer Platz, wo das Gedränge der gesamten Stadt sich ballt - alles emsig frequentiert von anderen Verkehrsteilnehmern: Autos, Mofas, Motorrädern, Lastern, Bussen, Straßenbahnen und Passanten. Auch Züge, Schiffe, Flugzeuge sind unterwegs, mir jedoch gottlob noch nie direkt begegnet.

Bremsen, schlucken, rationalisieren: "Überleben geht vor Rechtbehalten"

Anders als der schwarze BMW, der jetzt von links hinter dem jede Sicht zuparkenden Speditionswagen herausdonnert und mir die Vorfahrt nimmt. Bremsen. Schlucken. Rationalisieren. "Überleben geht vor Rechtbehalten." Die Zwangsmoral der Ohnmacht, des geringeren Impulses. Leider auch Brutstätte für Spießer-Paranoia: "Immer komme ich zu kurz! Nie zu meinem Recht!"
Dann lieber eine kurze therapeutische Besinnung auf Murphys Stadtradfahr-Gesetze: "Wenn am Tag bloß einer um die Ecke kommt, dann exakt im selben Augenblick wie du." Als habe er dort auf dich gewartet. Auch die nächsten Meter zementieren Murphys Law: "Ein am Gehsteigufer ruhendes Auto-Krokodil gleitet höchstwahrscheinlich genau dann in den Straßenfluss, wenn du vorbeikommst." Kuck doch!
"Oder verbaut dir wenigstens mit einer unvermittelt ausgestreckten Tür‑Pranke den Weg." War das jetzt Absicht? Allgemein gefasst: "In jeder Situation tut jeder andere Verkehrsteilnehmer immer das Dümmstmögliche." Oder noch allgemeiner: "Alle außer dir sind grundlos unterwegs. So wie du für sie." Und verschärfend: "Jedes einmal eingetretene Schlamassel steigert die Wahrscheinlichkeit für weitere."
Doch auch: "Es ist noch meistens gutgegangen." Quod erat demonstrandum. Es folgt ein relativ entspanntes Stück. Ich fahre nicht ungern Rad. Bin aber weder Profi noch Fanatiker. Einige betreiben Radfahren als Sport, Extremerfahrung, Masochismus oder Fetischismus (so wie andere das Laufen oder Autofahren).

Eher Pragmatiker als cooler Desperado im Asphaltdschungel

Andere wollen auf dem Fahrrad Wind und Wetter, die Natur oder sich selbst erfahren, flanieren, meditieren, den Planeten retten oder eine Revolution anzetteln. In San Francisco zelebrieren Anarchisten Bike-Paraden, reklamieren die Straße temporär für sich. Sagenhaft. Aber sowas ginge hier, wenn überhaupt, höchstens um drei Uhr früh. Zumal ich mich als Stadtradfahrer hierzulande kaum als Teil einer Gemeinschaft oder gar Bewegung sehen kann, sondern tendenziell vereinzelt bin.
So wie jetzt. Und zwar nicht als cooler Desperado im Asphaltdschungel, sondern als Pragmatiker, der halbwegs schnell und ungeschoren von A nach B möchte - und froh ist, wenn er ankommt. Als Radfahrer in einer Autowelt braucht man die Extremerfahrung nicht zu suchen. Sie findet einen täglich ganz von selbst.
Ein Hund rennt auf die Straße. Kein Problem. Ich rolle ohnehin verlangsamt. Auf die rote Ampel zu. Natürlich werde ich als Radfahrer nicht ernstgenommen. Aber darauf kommt es unter den gegebenen Verhältnissen auch gar nicht an. Im Gegenteil liegt hier gerade meine Überlebenschance.
Ich habe keinen Führerschein. Nicht mal das legendäre "Fußgängerdiplom". Und wenn ich jemals eine Radprüfung gemacht habe, dann weiß ich es nicht mehr. Meine Führerscheinverweigerung mag ursprünglich ein Akt der Rebellion gewesen sein, eine kleine Volte aus dem Strom des Konformismus. Doch statt "Venceremos!" oder "Volksverräter!" hab ich dafür meist nur Häme, Mitleid oder Fassungslosigkeit geerntet: "Fünfmal durchgefallen, was?""Reicht es jetzt nicht einmal für ein gebrauchtes?""Kein Führerschein? Wie jetzt?"

Der allgemeinen Raserei so elegant wie möglich ausweichen

Die Idee, mit Rad und Bahn durchs Leben zu gelangen, wirkt auf die große Mehrzahl so bestürzend und bizarr, dass sie mich für unzurechnungsfähig hält. In dem so entstehenden Narrenfreiheitsraum habe ich mich jedoch mittlerweile ganz gut eingerichtet. Hier zählt vor allem die hohe Kunst, der allgemeinen Raserei von Fall zu Fall so elegant wie möglich auszuweichen oder meine Lücke darin zu entdecken und geschickt hindurch zu schlüpfen.
Am besten ist, wenn niemand merkt, dass ich je da war. Am zweitbesten, wenn ich schon wieder weg bin, bevor die Anderen sich zu mir verhalten müssen. Am drittbesten, wenn Andere mich zwar beachten müssen, aber nicht durch mich gestört werden. Am viertbesten, wenn ich zwar störe, aber schon verschwunden bin, bevor jemand zum Meckern kommt. Und am fünftbesten, wenn sich die sechst- und siebtbesten Fälle gerade noch verhindern lassen.
In der an mir vorbeidüsenden Blechlawine gibt es freilich keine Lücken. Da hilft nur stoische Kontemplation. Deutschland ist ein Autoland: mit Autobahnen, Autostädten, Automarken, Autopolitikern, Autolobbyisten, ja selbst Auto-Autogegnern. Vor jedes Wort kann man das Präfix "Auto-" setzen. Automatisch trifft es zu. Und wo das zu Verwerfungen führt - Verkehrstoten, Luftverschmutzung, Umweltschäden, Lärm, Zersiedelung sowie zur Mästung ominöser Ölbarone -, da kann die Lösung stets bloß lauten: "Noch mehr Autos! Noch mehr Autobahnen!"
Wer zu diesem autokratischen Regime Distanz hält, kriegt kein Zuckerbrot: keine Steuergeschenke, keine Dienstfahrzeuge, keine autorisierten Wege. Doch zum Ausgleich dafür Feinstaub, Kohlenmonoxyd und Kohlendioxyd, kaputte Atemwege und erhöhtes Unfallrisiko. Radfahren ist verkehrslogistisch nicht mehr vorgesehen. Ein Rudiment aus früherer Zeit. Zu dulden allenfalls noch als Passion, im Doppelsinn von Leidenschaft und Leidensweg.

Das Generalproblem ist der Verkehr

Ich sehe unverändert rot. Auf der anderen Seite hat das Autofahren zugegeben große Vorteile. Wenn die Deutschen ihre Kriege mittlerweile auf den Autobahnen austragen, ist das sicherlich ein Fortschritt. Auch haben Autofahrer bislang nie eine Revolution gemacht (das Lenkrad stört einfach). Und natürlich ist das Auto als Erfindung im Prinzip ein Segen: schnell, bequem und wetterfest, für viele gar identitätsstiftend und lustbesetzt. Und teils schier unverzichtbar: bei Umzügen, in Notfällen, auf dem Land oder im Alter.
Auch fahre ich selber gern gelegentlich bei anderen mit. Es wäre deshalb Heuchelei, mich als Auto-Abstinenzler aufspielen zu wollen. Im Gegenteil bewundere ich die Autofahrer. Und zwar nicht bloß jene, die mich generös als Tramper mitnehmen, sondern sie alle, die mit diesem potenziellen Mordwerkzeug - ob aus Güte, Umsicht, Eigeninteresse oder andressiertem Zwang - in aller Regel unfassbar vernünftig umgehen.
Selbst Leute, denen ich außerhalb des Autos nicht das Geringste oder Schlimmstes zutrauen würde, genießen hier im Grunde mein Vertrauen. Andernfalls müsste ich mich sofort panisch in Deckung bringen. Das Generalproblem ist nicht das Auto. Das Generalproblem sind nicht die Autofahrer. Das Generalproblem ist der Verkehr.
Die Ampel springt auf grün. Ich rolle los. Was aber ist denn eigentlich Verkehr? Verkehr im schwachen Sinn ist jede Fortbewegung (übrigens auch für grüne Rad-Apostel) auf dafür vorgebahnten Wegen, die miteinander topologisch in Beziehung stehen. Verkehr im starken Sinne, wie ich ihn erlebe, ist dagegen durch das Ausmaß definiert, in dem die Anzahl und Frequenz der aktuellen Verkehrsobjekte jeweils Koordination und Kooperation erfordern, um das Chaos und den Kollaps zu verhindern. Der Verkehr ist das Gedränge.
Zum Beweis preschen zwei Limousinen scharf an mir vorbei. Die Grenzen des totalen Verkehrs sind:
A) im Paradies: der Höflichkeits-Infarkt. "Sie zuerst!""Nein, bitte Sie!""Nein, Sie!" Bis alles steht. B) im Purgatorium: die bürokratische Verzettelung. "Moment, ich muss erst im Gesetz nachschauen, wie das da geregelt ist.""In Paragraf x steht...""Ja, aber in Anhang b..." Bis alles zum Erliegen kommt. Und C) in der Hölle: der finale Crash. "Ich zuerst!""Nein, ich!""Nein, ich!" Alle rasen blindlings ineinander. Wer überlebt, schlägt sich noch weiter um die Vorfahrt. Bis sich nichts mehr rührt.

Die aktuelle StVO kann nicht das letzte Wort sein

Das rechte Maß muss irgendwo dazwischen liegen. Aber wo genau? Verschiedene Länder haben hier - von Dänemark bis nach Ägypten - sehr verschiedene Kulturen ausgebildet. Hinter mir der Lärm von einem aufgebohrten Mofa. Was ist es, das da in uns fährt?
In Deutschland muss selbstverständlich alles nach Gesetz und Vorschrift gehen. Derzeit also nach der StVO-Novelle von 1980 - die gleichwohl (wie die vorigen) von Autofahrern und zum Autofahren gemacht ist. Genau wie die Verkehrsführung. Als Radfahrer bin ich hier in aller Regel gar nicht existent.
Das merke ich umso deutlicher, wo es - wie hier - einmal ein kurzes Stückchen sogenannten Radweg gibt: Es ist so gedacht, dass ich die darauf überall herumstehenden Lieferwagen, PKW und Mülltonnen-Ensembles hurtig überspringe, so wie die Hundehaufen, Baumwurzeln und Baulöcher. Und wenn ich mich dabei verletze, bin ich laut Gesetz meist selber schuld. Ferner ist es so gedacht, dass ich mich kurz vor der Bushaltestelle de- und nachher wieder re-materialisiere. Oder vorschriftsmäßig absteige und mit der einsteigenden Menschenmasse samt Rad in den Bus gespült werde.
Schließlich ist gedacht, dass ich dort, wo sich der Radweg plötzlich zwischen Bürgersteig und Schnellstraße verliert, hundert Meter rückwärts fliege, absteige, auf dem einzigen legalen Weg als radschiebender Fußgänger die Straße überquere und den Radweg auf der anderen Seite in die falsche Richtung nehme, wo ich immerhin bloß andere Radfahrer und hochnervöse Parkhaus-Ausfahrer fertigmache.
So ist es gedacht. Es ist kurzum an nichts gedacht. Zumindest nicht an Radfahrer. Tant pis. Hätte ich mich - als solcherart Nicht-Vorgesehener - immer stets an alle Vorschriften gehalten, führe ich meinem Leben jetzt schon Jahre hinterher, wäre vielleicht noch auf dem Schulweg - oder, wahrscheinlicher, längst tot. Dabei hatte ich bisher weder einen schlimmeren Unfall noch je Ärger mit der Polizei.
Das legt den Schluss nah, dass die aktuelle StVO, so unerlässlich sie als nominelle Basis und in vielen Einzelfällen ist, doch nicht das letzte Wort sein kann. Hinter ihrer prinzipiellen realen Begrenztheit und strukturellen Schieflage zugunsten der je herrschenden Ideologie (momentan dem Kfz‑Kult) muss es noch etwas anderes geben.

"Fahren und fahren lassen": eine Art kategorischer Verkehrsimperativ

Eine Art kategorischen Verkehrsimperativ, der lauten könnte: "Bewege dich so fort, dass alle - der Planet, die Anderen und du - dabei möglichst wenig Schaden nehmen." Oder einfach: "Fahren und fahren lassen." Und selbst hinter dieser fast schon leeren Abstraktion wohnt in der Realität noch allerlei Kinetik und Dynamik, Psychologie und Intuition, Statistik und vor allem: Kasuistik.
Jetzt zum Beispiel muss ich mich, auch wenn gerade weit und breit nichts kommt, ausnahmsweise sichtbar machen und als personifizierte Regel vor der roten Ampel warten. Auf der anderen Seite steht ein Kind. An der nächsten Kreuzung kann es freilich wieder völlig anders aussehen ...
Wollte ich die kategorischen Verhaltensgründe näher aufdröseln, so käme ich ungefähr zu folgendem Organigramm: Unverrückbar an der Spitze steht als absoluter Wert die Nichtberührung als Prinzip und Praxis; darunter gleichgeordnet die Minimierung der Wegstrecken und die Maximierung der Geschwindigkeiten; und darunter schließlich optional: Bequemlichkeit, Interessantheit oder Eleganz der Wege oder Akte.
Im Ganzen geht es also, kurz gesagt, um ein für alle möglichst umsichtiges und effizientes, gegebenenfalls gar schönes Abstandsmanagement. StVOs sind hier kein Wert an sich, sondern nur so hilfreich, wie sie dabei helfen.
Ich passiere eine öffentliche Uhr. Noch ganz gut in der Zeit ... Die öffentlichen Uhren gehen, wenn auch alle etwas anders. An der nächsten Ampelkreuzung schlängle ich mich entlang der Autowarteschlange vor. Jemand hupt. Wegen mir jetzt? Weil er meint, das sei verboten? Weil es seine Männlichkeit gefährdet, rechts im Stehen von einem Fahrrad überholt zu werden? Oder mehr aus Freude? Weil er eine Hupe hat? Und immer testen muss, ob sie noch geht?
Ich weiß es nicht, die Scheiben sind verdunkelt. Ich weiß bloß, dass ich keine Hupe habe. Nur eine Klingel, die jedoch, selbst wenn sie - Mist! - nicht gerade klemmen würde, wenig Sinn hätte. Natürlich könnte ich jetzt durchdrehen und rumbrüllen, allerdings erwartbar mehr zur eigenen Triebabfuhr oder Verstörung schuldloser Passanten als zu irgendeiner Klärung.

Drinnen Slapstick - draußen Standard

Eine kurz imaginierte Panzerfaust löst das Problem viel effizienter und dezenter. Letztlich aber zeigt all das doch wieder nur, wie asymmetrisch, ja unmöglich Kommunikation über die Speziesgrenzen ist. Und wie restringiert, sobald das Mensch-zu-Blech-Verhältnis unter 1 zu 10 sinkt.
Überhaupt die Fortbewegungsevolution: Natürlich ist es onto- wie phylogenetisch einleuchtend, von einer Abfolge aus Kriechen, Krabbeln, Vierbeinig- und Aufrechtgehen, Reiten, Fahren und Fliegen auszugehen. Bis zu gewissem Grad auch, sie mit diversen Tieren, Kindern, Fußgängern, Reittieren, Kutschen, Fahrrädern, Motorrädern, Autos, Flugzeugen und Raumschiffen zu korrelieren.
Fatal ist allerdings, wenn daraus eine Rangfolge gezimmert wird, eine Art Fortbewegungs‑Ständeordnung, die die Dialektik dieser Speziesgenesen einebnet und leugnet - ihr filigranes Wechselspiel von Spezialisierung und Verkümmerung, Zugewinnen und Verlusten. Und die für ein dumpfes "Höher! Schneller! Weiter!" tendenziell auch alle internen Entwicklungen - vom Stelzengehen bis zum Krückengehen, vom Hochrad bis zum Vierer-Tandem und von der Isetta bis zum Muldenkipper - ignoriert. Vor allem aber die jeweilige Umwelt.
Ich komme in ein älteres Wohnviertel mit schmalen Straßen. Unversöhnlich kämpfen dort zwei Auto-Monster um den einen Parkplatz, den sie jeder für sich zuerst entdeckt haben. Dabei malträtieren und blockieren sie vor allem jene, die mit ihrem Showdown nichts zu tun haben: ein Kind mit seinem Gokart, ein paar ältere Fußgänger und mich.
Dass die beiden Blechberserker sich dabei so rabiat aufführen, pointiert indes nur die monströse Norm. So oder so wären sie in einer menschlicheren Welt hier fehl am Platz: Als würde man zuhause stets in schwerer Ritterrüstung durch die Wohnung scheppern; dabei alles ruinieren und jedes Mal Minuten brauchen, bis man sich am anderen krachend durch die Tür vorbeigezwängt hätte. Drinnen ist das offensichtlich Slapstick. Draußen jedoch offensichtlich Standard.

Straßen ohne Autos: ein stadt-utopischer Moment

Einmal im Jahr, zu Karneval, werden hier am Tag vorm großen Umzug alle Autos abgeschleppt. Und für einmal zeigt sich, was für eine wunderbare Stadt mit wunderbaren Straßen unter dem Blech-Ausschlag verborgen läge. Kleine Kinder trauen sich - erst ungläubig, dann immer fröhlicher - hervor und malen auf der Fahrbahn. Auch andere Leute, die man sonst nie sieht, kommen allmählich aus der Deckung. Menschen, Tiere, Bäume erleben einen kurzen stadt-utopischen Moment - bis die Eltern der entführten Autos eintreffen und ihn mit ihrem Wehgeschrei beenden.
Weiter über pittoreskes Kopfsteinpflaster. Ich höre die Gehirnzellen aus meinem Schädel purzeln. Also besser schnell da durch. Das Fahrrad quietscht und ächzt. Als echter Radler müsste ich jetzt solidarisch mitleiden. Und kenne solches Mitleid auch: Wenn das Rad samt Ständer umfällt (fiese Schrägen); wenn es trüb im Regen steht (das böse Wetter); oder wenn die Kette knarrt, weil der Besitzer sie nie schmiert (der faule Hund).
Doch das Kopfsteinpflaster perforiert nicht nur das Hirn, sondern auch jedes Sentiment. Mit den verbliebenen Hirnzellen wechsle ich auf den betonierten, hier fast vier Meter breiten und - so weit ich sehe - gerade leeren Bürgersteig. Nein, halt, da vorn kommt doch ein einzelner Mann. Ich weiche seiner Gehlinie so früh und weit wie möglich aus. Doch schon aus 20 Metern fängt er völlig haltlos an zu brüllen: "Das ist kein Radweg hier! Hier ist der Bürgersteig! Das ist verboten!"
Durch die geschlossene Parkfront komme ich jetzt nicht mehr auf die Straße. Unaufhörlich gellt es weiter: "Bürgersteig! Verboten!" Alles, was im Leben dieses Menschen schiefgegangen ist (und das ist offenbar nicht wenig), muss jetzt, wo er einmal recht hat, raus. Rechthaben rechtfertigt jeden Terror, jede Aggression. "Nichts zu suchen!"
Ist dieses Hass-Rohr auf zwei Beinen meine Nemesis? Für sämtliche Vergehen an Fußgängern der letzten, sagen wir, zehn Jahre? Oder ein Unnaturereignis? Oder muss ich mich nur tief genug in ihn hineinfühlen? Ist seine Tobsucht doch im Letzten zu verstehen? Mit letzter Not komme ich irgendwie an ihm vorbei.

Wie ein Hamster auf der Autobahn

Schlagfertig wie ich bin, weiß ich schon zwei Minuten später, was ich hätte zurückbrüllen sollen. Kehre aber deswegen nicht um. Sein Glück. Und meins. Lieber schnell noch einen Brief einwerfen. Ich schwebe an den Briefkasten heran, halte mich mit einer Hand kurz daran fest: flups - und weiter. In der gesamten Weltgeschichte wird das mit keinem Fortbewegungsmittel je besser zu machen sein.
Gleichwohl bewegt man sich als Radler fortbewegungsevolutionär sonst eher im Mittelfeld: ob bei der Schnelligkeit, Wendigkeit, Prothesenabhängigkeit wie auch sozial. Eigentlich eine gute Beobachterposition - sowohl auf andere Spezies wie aufs große Ganze. Je weniger ich allerdings als Radler vorgesehen bin, umso mehr werde ich notgedrungen auch zum teilnehmenden Beobachter.
Besteht die zentrale Umweltanpassungsstrategie dann doch gerade in der Amphibie - nämlich der Behändigkeit, mit der man unablässig mal zum Auto, mal zum Fußgänger mutieren muss, um durchzukommen. Nun wird es freilich ernst. Unvermeidlich muss ich auf die vierspurige Hauptverkehrsader. Doch mit etwas Glück reicht für mein kurzes Wegstück eine Ampelflaute zwischen zwei Verkehrsstürmen.
Es sieht ganz gut aus - aber nein: Etwas zu früh bekommt die scharrende Autoherde hinter mir schon grün und brettert los. Reifenquietschen, Motorheulen, Stampede! Eskalierendes Gehupe - doch zu glauben, es gälte mir, wäre jetzt tragische Hybris. Außer dem Spurkampf aller gegen alle kennt die Stampede nichts und niemanden. Mein Status ist jetzt der eines Hamsters auf der Autobahn. Keine Chance.
Ich flüchte auf den Bürgersteig, der hier wie immer leer ist. Ein Reservat, das von seiner Stammspezies, dem Bürger, schon vor Zeiten aufgegeben wurde. Und von mir unberechtigt invadiert wird. Lieber illegal als letal. Kaum zwei Meter weiter, doch in sicherem Nischenabstand, tobt jetzt die Stampede in den nächsten Ampelstau. Muss jede Evolutionsstufe sich erst zu Tode siegen, bevor zwischen den Spezies wieder verhandelt werden kann?
Auf meinen illegalen Fahrtstücken frage ich mich bisweilen, was wäre, wenn mir - als Führerscheinlosem - mal der Führerschein entzogen würde. Hätte ich dann minus einen? Müsste ich dann einen machen, damit ich wieder keinen hätte? Auch die folgende Etappe fordert Fitness: ein paar hundert Meter Steigung rauf zum Stadthügel. Nicht unbedingt die Tour de France, aber Runterschalten wäre hier schon sinnvoll.

Möglichst störungsfrei und effizient durchs Räderwerk der Stadt gleiten

Allerdings stößt das Hochstrampeln, so wie das Stadtradfahren insgesamt, hier an einen sozialen Limes. Denn schnieke und geschniegelt bleiben kann ich dabei nur bedingt. Immer etwas zu verschwitzt und zu zerzaust, bleibt mir die Zufahrt zu den Hochplateaus der Aus-dem-Ei-Gepellten prinzipiell verwehrt. Der Verlust hält sich jedoch beidseits in Grenzen.
Am Gipfel wartet eine repräsentative Großbaustelle. Mit einer Umleitungslogistik wie von M. C. Escher. Ich schließe mich so gut es geht den Autos an. Und schon beginnt wieder die Abfahrt. Für dieses Rad, ohne zu bremsen, sogar relativ rasant. Mit dem Adrenalin kommt die Erinnerung an jugendliche Mutproben: volle Pulle! - freihändig! - und jetzt die Augen zu! - Wie lange traust du dich? - nicht blinzeln! - Patsch! - Damals kein Malheur. Doch jetzt?
Manchmal frage ich mich, ob Radfahren in der Stadt nicht nur etwas für junge Menschen, vielleicht sogar nur für junge Männer ist, die mehr oder weniger bewusst auf Todesnähe und Rodeo abfahren. Wie lange werde ich hier so runterheizen können? Unten eröffnet sich vor mir die dichtbefahrene, unfallträchtige, mir aber wohlbekannte Ampelkreuzung. Lagecheck: Akteure? Ampelphase? Wege und Geschwindigkeiten?
Paradoxerweise geht mein hominider Ehrgeiz - mit wachsendem Freiheitsgrad meiner Verkehrshandlungsoptionen - überwiegend dahin, wie eine optimal gesteuerte Maschine zu agieren, also möglichst störungsfrei und effizient durchs Räderwerk der Stadt zu gleiten. Mehrere hundert Meter lang bremse ich deshalb gerade so, dass ich den Beginn der Grünphase voraussichtlich mit maximalem Schwung erreiche.
Dazu fortwährender Check-Up: Rollen von irgendwo gerade potenzielle Rechtsabbieger an, die ignorieren könnten, dass sie gleich Rot haben werden? Fremde Kennzeichen? Verrückte? Nein. Stehen unten an der Ampel Wartende, die mir den Weg verstellen oder sonst etwas Fatales tun könnten? Nein. Also zack und durch. Es klappt. Auf die Sekunde. Naja, fast. Und nun - als Grand Finale - noch wie jeden Tag: die Überquerung. Zu überqueren ist, mit abschüssigem Schwung, der Bahnhofsvorplatz.

Wunden, Schrammen, schwindelige Birne

Und damit der Ort, wo sämtliche Verkehrsadern der Stadt zusammenlaufen: der öffentliche Nah- und Fernverkehr in Gestalt von (zum Glück auf Schienen separierten) Zügen, doch eben auch diversen Straßenbahn- und Buslinien mit etwa zehn verschiedenen Haltestellen; dazu private Fernbusse mit eigenen Stationen, der Taxistand, die Polizeistation mit Motorrädern, Streifen- und Mannschaftswagen; dazu jede Menge Lieferwagen, forsche und verirrte PKW, vereinzelt andere Radler, Skater, Fußgänger sowie bloß kurz zu Fuß gehende Pendler, Reisende mit großen Koffern, Geschäftsleute, Mütter, Kinder, Kinderwagen, Hundehalter, Obdachlose, Punks in vorzeitlichen Sitzrunden.
Ein Szenario mit vielen unklar definierten Zonen, wo die Spezies wild durcheinanderwuseln. Alle mit ihren jeweiligen psychischen und physikalischen Impulsen, ihren unvorhersehbaren Richtungs- und Geschwindigkeitsveränderungen. Sich da durchzumogeln, ist jedes Mal eine Herausforderung, eine komplexe Mischaufgabe aus höherer Kinetik, Rad‑Artistik, Billard, Lotterie und Flipper - wobei es gerade darauf ankommt, nicht zu treffen!
Doch da zeigt sie sich, die Lücke. Jetzt oder nie! Krawusch! - Doch, hä? Wupp. Patsch. [Programmstörung. Wir bitten um Verständnis.] Über mir erscheint ein stoppeliges Kinn. "Was ist? Biste kaputt?""Kaputt?", erkundigt sich mein Mund. Meine Ohren hören jedoch bloß tonloses Geröchel.
Bevor ich irgendwas kapieren oder reagieren konnte, muss mein Vorderreifen in eine der Straßenbahnschienen geraten sein und dort blockiert haben, während das übrige Gefährt samt mir in vollem Flug darüber abgehoben und sich überschlagen haben muss. Zu meinem unfassbaren Glück kamen gerade keine Autos, Busse oder Straßenbahnen daher. Die Verkehrsjustiz kennt hierfür den Begriff "Alleinunfall".
Puh, der Hinterkopf, der Steiß, die Fußballen, die linke Schulter, auch das Schulterblatt. Wo tut es denn nicht weh? Was für eine Scheiße ... "Das Rad kannste vergessen.""Kannst du aufstehen?" Andere Leute kommen hinzu. "Ist was passiert?"
Wenig später stehe ich - zehn Meter weiter, neben einem Imbiss-Stand - schon wieder auf den Beinen, die Hände beiderseits am Lenker abgestützt. Diverse Leute haben mir aufgeholfen, sich gekümmert, mich gerettet. Auch scheint dem Körper, wie man mir erzählt, im Flug noch eine Judo-Rolle aus der Kindheit wieder eingefallen zu sein.
Wunden, Schrammen, schwindelige Birne. Doch ich bin wieder im Gleichgewicht. Auch die Stimme meldet sich langsam zurück. Das Rad ist eine Achtundachtzig, lässt sich aber schieben. So weit, so gut. Offenbar bin ich nicht unverwundbar. Aber auch nicht so leicht totzukriegen. "Geht es auch wirklich?""Klar.""Bist du sicher?""Danke, kein Problem."

Ankunft, Ziel, geschafft

Einträchtig verbeult und ramponiert eiern das Rad und ich die letzten Meter über den Platz. Mein Urvertrauen in die Welt und ihre Menschen ist jetzt größer als zuvor. Ankunft. Ziel. Geschafft.
So erlebte ich das Stadtradfahren in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und so erlebe ich es mit einigen Verkehrsteilnehmern und in manchen Städten, Vierteln, Straßen heute noch. Immer noch stößt man hier und da auf stehende, gehende und rasende Denkmäler dieser versinkenden Verkehrsepoche. Doch die Gegenwart des Stadtradfahrens sieht mittlerweile anders aus. Wir erfahren sie beim nächsten Mal.

Fahrbericht: Bergamont E-Mountainbike Roxtar C 8.0

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Das Bergamont Roxtar C 8.0 ist in einem markanten Grünton lackiert
 Sie gehören zu den heißesten Trends in der Fahrradwelt: elektrische Mountainbikes. Selbst in der jüngeren Zielgruppe der Geländefahrer wird der einst verpönte E-Motor inzwischen nicht nur akzeptiert, sondern sorgt als Spaßturbo für eine stark wachsende Verbreitung der elektrifizierten Offroadbikes. Was ist dran an dem Hype? Wie fährt sich so ein E-MTB? Das wollte ich herausfinden und habe dafür das Bergamont Roxstar C 8.0 über Trails, Waldautobahnen, Schotterpisten und asphaltierte Radwege gescheucht. Die Erkenntnisse sind mehrschichtig und weitgehend positiv.
Eigentlich gehöre ich ja zu den Puristen, finde E-Unterstützung beim Fahrrad irgendwie feige, manchmal sogar peinlich. Renn- und Mountainbikes sind für mich reine Sportgeräte, an denen Schutzbleche, Gepäckträger nur in Ausnahmefällen was zu suchen haben. Und nun das: Ein leuchtend grünes 27,5-MTB mit Elektromotor und Akku am Unterrohr steht vor mir. Ein Hardtail mit Bosch-Mittelmotor und zehn Gängen. Werde ich alt und bequem? Ja, ganz sicher. Mit dem Alter wächst die Akzeptanz für Elektro-Fahrräder. Doch Hauptmotiv für diesen Test sind meine Wissenslücken: Wie fährt so ein E-MTB? Wieviel Spaß macht es im Gelände? Und auf der Straße?
Auf festem Untergrund ist kaum E-Unterstützung notwendig

Das Handling ist einfach: Akku in der Wohnung an der Steckdose aufladen, dann am Unterrohr einklicken und das Bike mit dem Einschaltknopf am Display starten. Fünf Fahrmodi stehen zur Wahl: Eco, Tour, Sport und Turbo. Und off, also Fahren ohne E-Unterstützung.

Wer will, kann also auch ganz puristisch und ehrlich mit reiner Muskelkraft unterwegs sein. Das ist ganz praktisch wenn der Akku leer ist; man kommt immer nach Hause. Reichweitenangst gibt es nicht. Allerdings ist das Bergamont wie alle Pedelec kein Leichtgewicht. Rund 21 Kilo reine Fahrradmasse gilt es in Schwung zu bringen oder zu halten. Ohne Motorassistenz ist das spürbar anstrengender als mit einem MTB ohne Hilfsantrieb
Der Bosch-Mittelmotor ist sauber integriert
Also Unterstützung auf Eco gestellt und los. Zehn Kilometer rolle ich auf Asphalt und festen Schotterwegen in die Harburger Berge. Der Motor surrt beim gleichmässigen Tritt kaum hörbar. Flott bin ich unterwegs, immer so zwischen 20 und 25 km/h. Schalte ich versuchsweise die Unterstützung aus, spüre ich sofort wie die Fahrwiederstände grösser werden. Nicht dramatisch, aber bereits im Flachen und in Stufe Eco hilft der Motor angenehm beim Vortrieb.

Das Alu-E-MTB kommt in der trendigen 650 B-Reifengröße
Dann wird es ernst. Es geht in den Wald, der Boden wird schwerer. Es hat viel geregnet. Auf den Waldpisten haben sich stellenweise tiefe, matschige Stellen gebildet. Dass MTB einigermassen sauber durch die Testfahrt zu bringen kann ich vergessen. Das wird eine Matsch- und Schlammschlacht heute. Die ersten Steigungen erklimme ich trotz meines untrainierten Zustands völlig problemlos. Aber die machen mir auch auf meinem Crosser und Fatbike keine echten Schwierigkeiten. Die fiesen Rampen kommen erst noch.

Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass auch mit E-Motor im Gelände einiges an Fahrkönnen erforderlich ist. An steilen, rutschien Passagen vielleicht sogar mehr als ohne Motorhilfe. Denn das zusätzliche Fremddrehmoment verursacht auf glattem Untergrund mehr Traktionsverluste als mit reiner Muskelkraft. Die Dosierung der Kraft, die auf den Hinterreifen wirkt, erscheint mir etwas schwieriger als bei einem puren MTB. Denn bergauf habe ich immer wieder mit dem durchrutschenden Hinterrad zu kämpfen. Zum Glück wird es nie so schlimm, dass ich vom Rad müsste, doch Schlupf ist natürlich ein jedes Mal ein leichter Vortriebsverlust.

Dann die erste echte Rampe, vielleicht 17 oder sogar 20 Prozent steil. Bei den heutigen Bedingung wäre ich chancenlos mit einem normalen MTB. Und auch im Eco-Modus. Also drücke ich mit dem Daumen rasch zwei Mal auf Plus am Wippschalter. Der sitzt auf rechten Lenkerseite und steuert die Antriebselektronik. Im Display steht jetzt Sport und der Bosch-Mittelmotor gibt nun mit jedem Tritt deutlich mehr Power ab. Ich bin zwar nicht schnell, aber komme mit dem E-Rad die Steigung souverän nach oben. Genau diese Eigenschaft ist es, die ein Elektro-MTB ausmacht. E-Unterstützung macht besonders an Bergen und auf schwerem Boden Sinn; am meisten natürlich, wenn beides zusammen kommt.

Das ist hier der Fall und das Bergamont überzeugt mich für diese Art Einsatz. Mich wundert es nicht, dass E-MTB ein Boomsegment sind. Besonders wenn man wie ich unter mangelndem Training leidet, liefert das Rad viel Fahrfreude. Auch Federweg, Wendigkeit und Bergab-Performance sind gut. Allerdings muss man sich auch hier an das Fahrverhalten erst gewöhnen. In engen Kurven und groben Fahrbahnunebenheiten wirkt das Bike stets etwas träge.
Luft-Federgabel mit Remote-Lockout

Man spürt das Gewicht; vor allem das ungefederte Heck wirkt irgendwie steif, manchmal bockig und unkomfortabel. Vorn ist es okay, da die Federgabel über einen Lockout-Schalter je nach Fahrsituation angepasst werden kann. Sprünge wie ein Bunny Hop oder spektakuläre Fahrmanöver sind mit dem Elektro-Mountainbike deutlich schwieriger bis unmöglich durchzuführen - zuminst für normal begabte Biker wie mich. Kurzum: Für rasante Abfahrten würde ich ein leichtes Normal-MTB bevorzugen.

Pause am höchsten Gipfel Hamburgs: Hasselbrack in den Harburger Bergen
Doch für die heutige Tour ist das Bergamont genau das richtige Wald-Werkzeug. Nach einigem Suchen und Orientieren erreiche ich mein Tagesziel: das so genannte Hasselbrack in den Harburger Bergen. Das ist der höchste Punkt Hamburgs, genauer: der höchste Gipfel. Ein Schlaumeier hat den Markierungsstein entsprechend verbessert und das Wort Punkt durch Gipfel ersetzt. Der Heinrich Hertz-Turm, also der Hamburger Telemichel, ist mit 279 Meter deutlich höher als das 116 Meter hohe Hasselbrack. Muss ja alles seine Ordnung haben. Auch der Michel ist mit 132 Metern einen Tick höher und einige weitere Kirchtürme sicherlich auch.


Das Bergamont beeindruckt mit gutem Design und feiner Technik

Jetzt freue ich mich auf die Abfahrt. Zügig geht es zurück zum Ausgangspunkt. Die Singletrails erfordern viel Aufmerksamkeit, besonders wenn Matschbrocken aus dem Vorderrad in meine Augen fliegen und den Blick blockieren. Nach 50 Kilometer Gesamtstrecke bin ich wieder zu Hause. Gut 90 Prozent bin ich im Eco-Modus gefahren. 40 bis 215 Kilometer Reichweite verspricht der Hersteller. Letzter Wert scheint mir utopisch und in der Praxis nicht erreichbar. Wie auch immer: Meine Anfangsreichweite hat sich jedenfalls stark verringert, ja mehr als halbiert. Das liegt logischerweise am Fahrprofil. Im hochalpinen Gelände dürften selbst die 40 Kilometer Minimum nur erzielbar sein, wenn der Fahrer nicht zu viel E-Unterstützung abfordert.
Der abnehmbare Akku ist per Schloss gesichert


Klar, Berge lutschen reichlich Saft aus dem Akku. Das sollte man stets im Kopf behalten, wenn man mit einem E-MTB unterwegs ist. In der Stufe Turbo nimmt die verfügbare E-Restdistanz geradezu dramatisch ab. Wer immer mit voller Unterstüttzung unterwegs ist, wird nur sehr kurze Touren fahren können. Die sinnvollste Einstellung ist Eco oder Tour. Eco bedeutet übrigens, dass der Motor sich mit 50 Prozent an der Vortriebsarbeit beteiligt. Im Turbo-Modus sind es satte 300 Prozent, also der Antrieb das dreiffache Drehmoment liefert im Vergleich zur reinen Muskelarbeit.


Fazit:
Mich hat das Bergamont E-MTB überzeugt. Besonders für Gelegenheitsfahrer erweitert es denn Radius und die Möglichkeiten. Statt Schiebefrust gibt es Uphill-Lust. Die Technik wirkt ausgereift und zuverlässig. E-Antrieb und Kettschaltung arbeiten erfreulich leise. Der leichte Alurahmen und das trendige 27,5-Format sind eine mainstreamige Vernunftlösung. Rund 3000 Euro kostet das Roxtar C 8.0. Das ist nicht billig. Aber auch nicht (zu) teuer, wenn man das gelungene Design, die Qualitätsanmutung und besonders den Fahrspaß dagegen rechnet.

Technischer Steckbrief:
-27.5" E-MTB mit Aluminium Rahmen und interner Zugführung
-Manitou Marvel Comp 100mm Luftfedergabel mit Remote Lockout
-Shimano SLX/Deore 10-fach Schaltung mit BGM Delta Pro Kurbel
-Shimano M447/M506 hydraulische Scheibenbremse
-Innenverlegte Kabel, BGM Motorabdeckung, Bosch Performance Line CX 
-Preis: rund 3000 Euro

Fahrbericht: Kalkhoff Integrale 10 Pedelec

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Foto: Jonas Kurz

MTB, Rennrad, Fatbike, Faltfahrrad - fast kein Segment mehr ohne E-Bikes. Die Elektrifizierung des Fahrrades schreitet mächtig voran und erobert erfolgreich die Nischen. Da ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis selbst ein BMX-Rad als E-Version auf den Markt kommt. Doch es sind nicht die 
Nischenprodukte, die den Markt für Elektro-Bikes treiben. Die Masse der Pedelec fällt in die Kategorie der City- und Trekkingräder. Hier gibt es eine riesige Modellvielfalt. Das Angebot ist kaum überschaubar. Preislich liegen die meisten Räder hier zwischen 2500 und 4000 Euro. Als besonders innovativ gelten Modelle mit elegant im oder am Rahmen verbauten Akku - so wie das Kalkhoff Integrale 10, das ich ein paar Tage probefahren konnte. Wie praktisch, gut und cool ist so ein Pedelec der aktuellen Generation?
Solide und elegant: Kalkhoff Integrale 10                                Foto: Jonas Kurz
Design:
Das Kalkhoff Integrale ist eine stattliche Erscheinung. Das liegt an den wuchtigen Rohrdurchmessern des Alurahmens. Glanzstück ist das Unterrohr, das elegant den 17 Ah-Akku aufnimmt. Das sieht nicht nur aufgeräumt aus, sondern der große Stromspender liefert auch viel Reichweite - im Eco-Modus werden über 150 Kilometer versprochen. Darum prahlt ein kleiner Aufkleber auch vollmundig: "All day ride construction". Bei aller Eleganz, ein sportliches Rad ist dieses Kalkhoff nicht. Eher ein Tourenmodell mit sehr aufrechter Sitzhaltung. Optisch strahlt das Bike viel Solidität ab.

Dafür sorgt unter anderem die stabile Federgabel sowie der höhenverstellbare Vorbau. Er ist extrem massiv dimensioniert. Anders der Gepäckträger. Klein, ja zierlich wirkt er eher wie ein Alibi-Anbauteil. Wie der Akku ist auch der Impulse-Mittelmotor gut in den Rahmen eingefügt. Dass das Sattelrohr eine aerodynamische V-Form aufweist mag zwar formschön aussehen, verhindert aber erfolgreich die Montage eines handelsüblichen Kindersitzes. Viel Liebe steckt in Details wie eine Gummiabdeckung für die Inbusschraube der Sattelhöhenverstellung.
Der Akku ist geschickt ins Unterrohr integriert

Komponenten:
Ob Bremsen, Schaltung oder Lenker - alles ist mindestens gehobene Mittelklasse. Die Deore-Teile von Shimano repräsentieren den aktuellen Stand der Technik. Dazu garantieren DT Swiss-Felgen und breite Schwalbe-Reifen sorgenlosen Betrieb auch im harten Alltagsradler-Einsatz. Die Scheibenbremsen packen kraftvoll zu und sind gut zu dosieren.

Pfeildarstellung auf Display
Das Kalkhoff möchte nicht nur schön sein, sondern auch intelligent. Stichwort vernetztes Bike. Momentan bedeutet das vor allem die Koppelung des Displays mit dem Smart-Phone. Mittels kostenloser Impulse-App lässt sich das Handy mit dem Display verbinden, Dieses wird dadurch zum Navigationscomputer. Der hat allerdings noch seine Tücken.
Impulse-App mit Navi


Für meinen Geschmack reagiert er zu langsam, zeigt per Pfleildarstellung die Richtung nur ungenau an. Gut funktioniert er nur bei konkreten Straßennamen, sonst heißt es oft einfach nur lapidar Weg und der dazugehörige Richtungspfeil hilft nicht wirklich weiter. Die Neubrechnung der Route, nach dem man sich verfahren hat, wirkt sehr zäh. Das frustriert und sollte schneller gehen.

Fahrspaß:
Im Eco-Modus hilft der 250-Watt-Motor stets mit der richtigen Portion E-Unterstützung mit, so dass man nie ein schlechtes Gewissen haben muss, andere für sich arbeiten zu lassen. Kaum hörbar summt das kleine E-Aggregat unter dem Fahrer und stellt bei 25 km/h seine Hilfsdienste ein. Spätestens dann merkt der Fahrer, dass er ein schweres Rad unterm Hintern hat. Bergab ist das kein Problem; in der Ebene jedoch sind dauerhaft hohe Geschwindigkeiten nur mit viel Einsatz möglich.

Ladezustandsanzeige am Akku
Tour, Sport und Ultra steigern die Hilfe aus dem E-Werk erheblich, verringern logischerweise aber auch die Reichweite. Also Achtung: Ohne E-Unterstützung möchte man dieses Rad nicht lange bewegen. Besonders bergauf wird Elektro-Lust schnell zum Elektro-Frust. Immer schön aufs Display achten und nicht zu viel Saft aus dem Akku saugen.

Das Kurvenverhalten ist ohne Tadel, auch wenn angesichts der Geometrie keine starken Schräglagen möglich sind. Das Sicherheitsgefühl ist hoch. Das Rad tut, was der Fahrer will. Ausnahme ist der Ultra-Modus: Hier schiebt der Motor spürbar nach und sorgt bei ungleichmässigem Tritt für ein leicht unharmonisches Fahrgefühl. Wie erwähnt: Ein Sportbike kann und will das Kalkhoff zu keiner Zeit sein. Etwas enttäuschend ist der Abrollkomfort auf schlechten Straßen. Unebenheuten, Schlaglöcher und Steine dringen trotz Federgabel fast ungedämpft in Lenker und Sattel. Stellt man die Luftgabel auf weich, ändert sich das Anfederverhalten auch nur minimal. Kalkhoff sollte sich überlegen, ob man nicht eine Vriante ohne Federgabel zum günstigerem Preis anbieten sollte. Dieses leichtere Modell wäre meine erste Wahl.
Die Geometrie sorgt für eine aufrechte Fahrhaltung               Foto: Jonas Kurz

Antrieb:
Das Impulse-System gehört zu den besten E-Antrieben auf dem Markt. Die E-Unterstützung wird feinfühlig dosiert. Auch die Kettenschaltung arbeitet präzise und mit zügigen Gangwechseln, so dass der Fahrer kaum Änderungen in der Trittfrequenz ertragen muss. Beim Schalten unterbricht die Elektronik den E-Vortrieb stets für den Bruchtreil einer Sekunde und schützt so Kette und Ritzel vor erhöhtem Verschleiss. Wer keine Kette mag, kann das Rad auch mit einem Riemen ausrüsten; die rechte Hinterbaustrebe lässt sich für diesen Zweck öffnen. Gut mitgedacht Kalkhoff! Der gewünschte Unterstützungsmodus lässt sich bequem per Daumendruck am linken Lenker steuern.
Perfekt integrierte Rückleuchte

Kosten:
Rund 3400 Euro kostet das Integrale 10 regulär. Damit gehört es preislich zu den E-Bikes der gehobenen Mitteklasse. Der technische Gegenwert ist gut, ebenso Verarbeitung und Qualitätseindruck. So gesehen geht der Verkaufspreis in Ordnung.

Fazit:
Das Kalkhoff ist ein zuverlässiges Alltags-Pedelec                  Foto: Jonas Kurz
Wer ein solides Alltags-Pedelec sucht und sich optisch von den meisten Konkurrenzmodellen abheben will, findet im Kalkhoff Integrale ein reizvolles Angebot. Akkus werden zunehmend  Bestandteil des Rahmens werden. Die Traditionsmarke Kalkhoff gehört hier zu den Pionieren und gibt dem Markt einen wichtigen Impuls.


Für die meisten Fotos auf dieser Seite gebührt großer Dank Jonas Kurz. Der engagierte Hobbyfotograf war so nett, für mich die Bilder im Wilhelmsbuger Inselpark aufzunehmen. Ich finde, die Motive können sich sehen lassen. Danke Jonas. Auch beim E-MTB-Fahrbericht hat Jonas für mich auf den Auslöser gedrückt und mit Ehrgeiz immer wieder nach dem besten Ergebnis gesucht.Und das eher per Zufall: Eigentlich wollte Jonas im Park Natur und Architektur fotografieren. Aber dann kreutzten sich unsere Wege. Ergebnis oben.








Rund um Sylt mit dem Fatbike: (Un)reif für die Insel

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Seit ein paar Monaten besitze ich ein Fatbike von Bergamont - ein tolles Rad. Besonders weil man mit ihm überall hinkommt. Doch in Hamburg fehlt mir irgendwie das richtige Revier. In den Harburger Bergen und über den Bille-Trail bin ich mit meinem Fatty schon gefahren. Das funktioniert gut. Und vor der Eisdiele bist Du mit einem Fatbike sowieso der Star. Doch die Dinger sind ja eigentlich für Schnee gemacht. Oder Sand. Doch Lappland und die Sahara liegen mir zu weit entfernt. Und im Harz hat es diesen Winter kaum geschneit. Verdammt nochmal, wo fahren mit dem Fatbike? Dann schießt es mir plötzlich in den Kopf: Auf Sylt natürlich. Lange Strände im Westen, einsames Watt im Osten. Perfekt! Ab aufs Eiland der Millionäre. Eine Umrundung immer an der Wasserkante lang müsste an einem Tag möglich sein. Was für ein Irrtum!
Mein Plan klingt gut, finde ich. Mit der Nordostbahn von Hamburg nach Morsum und dann mit dem Fatbike ran ans Wasser und rund um Sylt strampeln,  also das Inselende in Hörnum umrunden, rauf zum Ellbogen und List, von dort zurück über Braderup, Munkmarsch und Keitum wieder zum Bahnhof in Morsum. Alles am Strand und im Watt. Das müssten am Ende des Tages rund 85, na ja, maximal 100 Kilometer sein. So weit die Theorie.

Kommen wir zur Praxis: Ich verlasse den Morsumer Bahnhof Richtung Osten und bin schon bald auf einem Landwirtschaftsweg. Dahinten muss irgendwo das Wasser sein, die Sylter Westküste. Zu sehen ist noch nichts. Nur Bäume und Wiesen. Ich fahre weiter. Dann entdecke ich einen Schilffgürtel. Dahinter liegt bleiern die Nordsee. Aber wie kommt man dahin? Kein Problem, schließlich fahre ich ja ein Fatbike. Die können alles. Also runter von der Straße und über die ruppige Wiese Richtung Schilf. Plötzlich stoppt mich kaum erkennbar ein Graben, dessen Wasser sich unter flachgedrücktem Schilfhalmen versteckt. Fast wäre ich komplett da reimngefahren. Fast!

Denn ich konnte noch bremsen und habe nun nur nasse Füsse. Na, dass kann ja noch lustig werden. Vier Kilometer bin ich gerade mal Kilometer gefahren. Vier von gut 85, und jetzt schon nasse Füsse. Aber nach dem Graben rolle ich tatsächlich durchs Wattenmeer. Aber was heißt schon rollen. Ich kämpfe! Ich trete ganz fest: links, rechts, links, rechts...  - mein Puls rast. Das ist wie ein Bergpass. Also extrem anstrengend. Nein, so habe ich mir das nicht gedacht. Watt, so meine Vermutung, müsste doch halbwegs fester Meeresboden sein. Ist er aber nicht. Das Watt verschlingt extrem viel Watt. Meine megadicken Reifen sinken zwar nicht ein, wie es bei normalen MTB-Pneus der Fall wäre, doch dafür wirken sie wie am Boden festgeklebt. Egal, weiter! Dickes Schilfgeflecht macht die Sache zusätzlich schwieig. Es verhakt sich in Schaltwerk und Umwerfer; dort wo viel Wasser steht, spritzt es nach oben auf Kette und Zahnräder. Da ist viel Salz drin, denke ich mit Sorge um mein Material. Aber ich Esel habe es ja so gewollt. Jetzt also nicht jammern Jörg.

Mein Tempo liegt etwa bei Schrittgeschwindigkeit. Mehrmals muss ich anhalten, um Gräben zu überwinden. Oder um die Wattenmeer-Botanik aus der Fatbike-Mechanik zu entfernen. Ich blicke auf die Uhr. Vielleicht sechs Kilometer geschafft und schon über eine Stunde unterwegs. So wird das nichts bis Sonnenuntergang. Licht habe ich nicht dabei.
Sylts breiter Strand ist nah am Wasser gut mit dem Fatyx befahrbar

Ich entscheide mich, mehr ins Inselinnere zu fahren. Mir und auch der Natur tut die Tour durch die sumpfigen Wattwiesen nicht gut. Ich lande auf einem Golfplatz. Was für ein Kontrast. Eben noch tiefmatschiges Gelände, jetzt gepflegtes Grün. Dem Reiz, direkt über die Fairways zu donnern, widerstehe ich und rolle nun mit flottem Tempo auf einer geschotterten Piste. Sylt hat in diesem Bereich seine größte West-Ost-Ausdehnung; in einiger Entfernung sind die Hochhäuser von Westerland erkennbar. Doch dann knickt meine Route nach links ab und ich rolle über den Damm des Rantum Beckens. Eine spektakuläre Strecke, führt sie doch quasi dirket durchs Meer: links Wasser, rechts Wasser, dazwischen die Dammkrone mit Radweg - das hat was, auch wenn dieses mehrere Kilometer lange Stück ziemlich windanfällig ist.

Rantum selbst ist wenig spektakulär für Radfahrer. Die sylttypischen Reetdachhäuser, ein paar Strassen, teure Hotels, das war's. Hier ist die Insel plötzlich besonders schmal. Man kann das Meer links und rechts zwar nicht gleichzeitig sehen, aber hören oder zumindest spüren. Auf einer festen Schotterpiste komme ich gut voran. Direkt ans Wasser ist auch hier nicht zu kommen. Das ändert sich weiter südlich. Dort sehe ich plötzlich einen interessanten Wegweiser: "Kein Radweg nach Hörnum", verkündet dieser und weist Richtung Strand. Genau das, was ich gesucht habe. Der Weg ist ein Wanderweg durch die Dünen, mit Wasserdurchfahrten und tiefen Sandpassagen - Fatbike-Terrain eben.

In der Tat zeigt mein Fatty hier, was es drauf hat. Auch Anstiege mit tiefen Sand sind fahrbar. Wenn mit normalen Bikes nicht mehr geht, kommt das Rad mit den 4,8-Zoll breiten Reifen hier noch durch - herrlich. An der Hörnumer Spitze, also Sylts Südpol, wird's schwierig. Rechts von mir türmt sich eine hohe Sandkante auf, links brechen Wellen und Wasser züngelt auf den Strand. Was bleibt, ist meist nur ein halber Meter Platz zum Fahren. Ohne Wasserkontakt geht es nicht. Mein armes Bike.
Hörnum: Sylts Südpol mit unruhigem Wasserspektakel
An der Südspitze mache ich eine kurze Rast und blicke fasziniert aufs Wasser. Unterschiedliche Strömungen fließen hier ineinander und bringen die Wasseroberfläche in ständige Unruhe. Manchmal sieht das Meer aus, als würde es gleich kochen, dann plötzlich so als habe jemand am Meeresboden den Stöpsel gezogen. Kleine Strudel tauchen kurz auf und verschwinden gleich wieder.

Anschließend wird es immer schwerer, mit dem Faty weiter zu kommen. Wellenbrecher aus Beton versperren die direkten Zugang zur Wasserkante. Dort wo man hinkommt ist der Sand extrtem loose und tief. Einen halben Kilometer muss ich schieben. Dann liegt sie vor mir: Sylts Westseite mit seinem breiten, urtümlichen Sandstrand, der sich bis nach List zieht. Jetzt geht es richtig los mit der Fatbikerei. Direkt an der Wasserkante kann ich ein Tempo von etwa zehn km/h, manchmal 15 km/h halten. Die Bodenbeschaffenheit wechselt hier und da mal kurz: Dann ändert sich das Fahrgefühl von anstrengend zu extrem anstrengend. Aber so lange ich vorwärts komme, geht es mir gut. Auf Schieben habe ich keinen Bock. Die Orientierung ist schwierig. Natürlich: Verfahren ist unmöglich. Aber wo bin ich genau? Muss dahinten nicht die Sansibar kommen? Na klar, aber wie weit mag das noch sein! Zwei Kilometer? Oder eher fünf? Keine Ahnung!

Das Gefühl für Entfernung geht hier am Strand verloren. In einiger Entfernung taucht rechts in den Dünen eine Bake auf. Die müsste ich ja gleich passieren. Doch sie kommt kaum näher, wird nicht größer. Mehr als eine halbe Stunde brauche ich, bis ich sie erreiche. Ich hatte mit etwa zehn Minuten gerechnet. Kurz danach erreiche ich die Sansibar.
Fatbike an der Sansibar: Mehr Aufmerksamkeitswert als jeder Protz-SUV

Zwei Sylt-Gockel in neonfarbenen Steppwesten stapfen Richtung Strand und mustern mein Fatbike: "Bisste am Strand gefahren?", fragt der eine. Ich nicke und denke: Wo den wohl sonst? Egal, jetzt erstmal auf die Terasse der Sansibar und gucken, ob es was Bezahlbares zu essen gibt. Gibt es! Ich bestelle eine Kartoffelsuppe mit Apfelkuchen. Das wurde mir von der Bedienung empfohlen, soll gut sein. Kartoffelsuppe mit Apfelkuchen - nie gehört. Tasächlich kommt eine sehr leckere Suppe in deren Mitte ein Stück Apfelkuchen schwimmt. Und die ungewöhnliche Kombination schmeckt ungewöhnlich gut.

Beim Edel-Juwelier in Kampen steht ein lustiges Lohner E-Bike mit Sitzbank
Suppe mit Kuchen, das gibt Kraft. Trotzdem: Meinen Plan, Sylt direkt an der Wasserkante zu umrunden, beerdige ich. Der Nachmittag ist schon fortgeschritten, das Jahr noch früh. Darum wird es früh dunkel. Aso nehme ich den geschotterten Radweg, rolle durch Westerland zum Brandenburger Strand. Hier ist in der Sasion immer der (Surf)-Teufel los. Jetzt sind es nur kleine Gruppen von Spaziergängern, die sich den frischen Wind um die Nase pusten lassen. Sylt umrunden bedeute logischerweise auch, irgendwann mit dem Wind zu kämpfen. Vor Kampen bläst er mir direkt ins Gesicht, so als wolle er sagen: "Mein Freund, bis List kommt Du heute nicht mehr. Vorher lasse ich das Licht aus machen."
Ich kapituliere - DNF! Das steht für "Did not finish". Eine komplette Strandrunde war nicht drin. Nein, nicht mal die Umrundung mit Hilfe der Radwege habe ich heute geschafft. List ist eigentlich nicht mehr weit. Doch es dämmert bereits. Zügig fahre ich auf Sylts Ostseite hinterm Flugplatz lang nach Keitum. Dort angekommen ist es schon fast dunkel. Mein Inselbesuch geht am Bahnhof zu Ende. rein in den Zug und zurück nach Hamburg. Heute war ich einfach nicht reif für die Insel.

Ganz wichtig: Nach der Tour das Bike vom fiesen Salz befreien

Testtagebuch: Was taugen Fahrräder von Aldi?

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 Folge I: Der Kauf
Curtis im Auslieferungszustand: Pedale müssen montiert, Lenker und Sattel
eingestellt werden 

Heute hatte Aldi Nord mal wieder Fahrräder im Angebot. Eine gute Gelegenheit, sich diesem Thema nochmals zu nähern. Denn mein vor zwei Jahren eher beiläufig formulierter Blogeintrag zu Fahrrädern von Aldi ist der mit weitem Abstand am meisten geklickte Artikel auf St-Pedali. Über Google-Suchbegriffe wie "Aldi Rad", "Aldi Bike Test" oder einfach nur "Curtis Fahrrad" landen sehr viele Rad- und Ratsuchende auf diesen Seiten. Eine Kaufberatung sowie Erfahrungsberichte zu den Aldi-Rädern sind also überfällig. Darum war ich heute bei Aldi in HH-Wilhelmsburg und habe mir ein Curtis Cityrad gekauft. Preis: 299 Euro. Werden wir Freunde werden? Oder Feinde?
299 Euro! Für ein Cityrad mit Herrenrahmen aus Alu, Siebengang-Nabenschaltung, Nabendynamo, Standlicht, V-Brakes, Federgabel, gefederter Sattelstütze - ein zweifellos bestechendes Angebot. Aber: Kann ein gutes Rad wirklich so billig sein? Was taugt das Ding im Alltag? Macht es Spaß zu fahren? Oder bereitet so ein Discount-Rad mehr Frust als Lust? Das und noch viel mehr möchte ich herausfinden.

In loser Reihenfolge werde ich vier Wochen lang über mein neues Aldi-Rad berichten. Dann will ich es zurück geben. Denn Aldi wirbt damit, dass man bei Nichtgefallen das Rad ohne Angabe von Gründen in jeder Aldi-Filiale gegen Erstattung des Kaufpreises retournieren kann. Sollte das wirklich problemlos klappen, wäre das schon mal ein Superservice und Vorteil gegenüber dem Fachhandel. Ich bin gespannt. Auch auf das Fahrgefühl und den Alltagseinsatz.

Lieferumfang: Pedale, Bedienungsanleitung, Werkzeug
Heute geht es zunächst um das Kaufprozedere: Um 19 Uhr sind nur wenige Kunden in der großen Aldi-Filiale. In der Nähe der Kassen stehen die seit heute im Prospekt beworbenen Trekking- und City-Räder - jeweils mit Damen und Herrenrahmen. Alle kosten das gleiche: 299 Euro. Da ich Schaltungsnaben mag, entscheide ich mich für das Cityrad mit Siebengang Shimano Nexus-Hinterradnabe - ein robustes und bewährtes Produkt. Als Neuteil kostet allein die Nabe mindestens 80 Euro.

Vom Herren-Cityrad ist nur ein Exemplar vorhanden. Genau schaue ich es mir an und kann keine Defekte oder Schrammen erkennen. Dann versuche ich das Hinterrad zu drehen. Das tut sich schwer und bleibt nach einer halben Umdrehung an der Bremse hängen. Klare Sache: Die hintere Alufelge ist nicht optimal zentriert und schleift an der eng eingestellten V-Brake. Kein Drama, aber wer möchte schon direkt an einem Neurad herum schrauben müssen. Darum frage ich den Verkäufer nach einem weiteren Exemplar und ernte zunächst Achselzucken; dann bittet er mich in den Lagerraum, wo noch gut sechs weitere Räder warten. Nummer zwei dreht auch nicht frei. Weiter zu Nummer drei und siehe da: Das Hinterrad läuft ohne zu schleifen. Ab damit zur Kasse. Per EC-Karte zahle ich 299 Euro und schiebe mein Discount-Fahrrad durch die Tür in den Regen.

Tipp: Das Rad vorm Kauf genau ansehen und Zentrierung der Felgen prüfen. Hier kann es Nachholbedarf geben
Die Union-Pedale drehen eher schwerfällig

Unter dem Vordach öffne ich die am Sattel befestigte Plastikhülle mit Bedienungsanleitung. Auch ein kleiner 15er Pedalschlüssel sowie zwei Inbusschlüssel liegen bei. Mit ihnen lässt sich das Rad fahrfertig machen, also Lenker ausrichten, dann Konus- und Vorbauschrauben anziehen. Anschließend Sattelhöhe anpassen, Pedale in die Kurbelarme drehen, festziehen und - fertig.

Normalerweise würde ich die Pedalgewinde fetten, um sie später leichter demontieren zu können. Aber Fett hat Aldi nicht beigelegt. Egal, das Rad ist einsatzbereit. In der Bedienungsanleitung steht zwar noch was von Tretkurbel mit Drehmomentschlüssel festziehen, aber dafür müsste man zum Fahrradhändler. Und der freut sich über so ein Aldi-Rad bestimmt riesig. Ich werde bei Gelegenheit kontrollieren, ob die Kurbeln mit den angegebenen 32,5 Newtonmeter angezogen sind.
Hersteller des Curts sind die Mifa-Werke
in Sangerhausen

Ich steige auf und trete. Das Rad rollt. Gut sogar. Ohne Geräusche und überraschend leichtfüssig fahre ich über den Aldi-Parkplatz. Es regnet immer noch. Das stört kaum, denn der erste Fahreindruck ist überraschend positiv: Das Rad macht Spaß. Zur Probe ziehe ich beide Bremshebel. Giftig packt die V-Brake trotz nasser Felgen zu. Als dritte Bremse gibt es auch noch den Rücktritt. Fast etwas zu viel des Guten, finde ich.

Mein Weg nach Hause sind nur rund 300 Meter. Wirklich viel kann ich nach der kurzen Strecke noch nicht sagen. Aber die erste Begegnung mit meinem frisch gekauften Aldi-Testrad war positiv. So darf es gerne weiter gehen. Im nächsten Schritt kriegt das Bike erstmal einen Funktacho. Auch den gab es bei Aldi; für 7,99 Euro.
Das fertig montierte Curts Cityrad vor der Aldi-Filiale. Zeitaufwand: zirka fünf Minuten
Nächste Folge: die Komponenten und Anbauteile


Critical Mass April 2016: Mit Flüchtlingen durch Hamburg

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Besondere Anlässe erfordern besondere Fahrräder. Darum habe ich nach längerer Zeit mal wieder mein großes Rixe-Tandem aus den 70ern ans Tageslicht geholt und bin damit zur Critical Mass in Altona geradelt. Dort gesellte sich dann Jihan zu mir auf den zweiten Tandem-Platz. Jihan ist aus dem Irak geflüchtet und wohnt seit fünf Monaten in einer Unterkunft für Asylbewerber in Hamm. Der Zufall sorgte dafür, dass wir für einen Abend ein Tandem-Team waren.
Schuld hat Janice. Janice hilft und arbeitet in der Hammer Flüchtlingsunterkunft. Besonders liegt ihr am Herzen, dass die Flüchtlinge mit Fahrrädern versorgt werden. "Denn am Radfahren finden viele von ihnen großes Spaß", sagt sie. Janice hatte mich angerufen, um bei mir nach einem Spendenrad zu fragen. Aufmerksam geworden war sie durch eine Kleinanzeige, in der ich ein Klappfahrrad verkaufte. Statt eines Spendenrades bot ich meine Hilfe an, die sofort begeistert angenommen wurde. Als es dann um die CM ging, kam mir die Idee mit dem Tandem. Janice war begeistert und organisierte für die CM eine Mitfahrt von zirka 30 Teilnehmern, die mit Leihrädern der Firma Hamburg City Cycle versorgt wurden. Eine tolle Geste, finde ich. Doch nicht alle Flüchtlinge können Radfahren. So wie Jihan. "Im Irak ist es Frauen sogar verboten", sagt sie so gut sie eben kann. Denn Deutsch lernt sie gerade erst. Und so beschränkt sich unsere Konversation auf dem Tandem auf wenige Worte.

Nach dem Start geht es auf der Elbchaussee Richtung Westen und rein nach Ottensen. Dann quer durch die Stadt nach Osten bis nach Hamm, wieder rein ins Zentrum mit Ziel auf den Heilggeistfeld. 39 Kilometer stehen am Ende auf meinem Tacho - eine ordentliche Tour. Was Jihan denkt? Ich weiß es nicht. Aber ich spüre: Ihr macht die Fahrt Spass. Oft tritt sie nur wenig mit und konzentriert sich auf die Lichter der Stadt. Manchmal tritt sie aber auch euphorisch mit in die Pedale, so dass wir kräftig Fahrt aufnehmen. Manchmal wiederum kommt sie gänzlich aus dem Tritt und hat Probleme, ihre Füße auf Pedale zu bekommen. Auch mit dem Gleichgewicht ist es manchmal etwas schwierig. Radfahren hat sie in den vergangenen Tag in der Unterkunft geübt, ist dabei aber auch schon auf die Nase gefallen, berichtet Janice.

Das befürchte ich auch bei dem ein oder anderem Mitfahrer aus Kreisen der Flüchtlinge. Euphorisch fahren einige Schlangenlinien und wirken, als wollten sie zur Musik aus den Sound-Bikes tanzen. Wer wollte es ihnen verdenken? Was mögen sie auf dem langen Weg nach Deutschland erlebt haben?  Von Jihan erfahre ich dazu wenig. Mit Boot und Bus ist sie mit ihrer 18köpfigen Großfamilie aus dem Irak geflüchtet. Nun wartet sie auf Papiere von der Behörde. Genau diese Warterei ist es, die den Flüchtlingen den Alltag nicht leicht macht. In den Lagern regiert Langeweile. Und wer Langeweile hat, kommt auf dumme Gedanken. Das scheint mir einer der Gründe zu sein, dass es in den engen Flüchtlingscamp auch immer wieder zu Streitereien kommt. Das ist bei dem Gedränge fast unvermeidlich.

So gesehen ist die heutige CM sicherlich eine willkommene Abwechslung.

Die Aktiven der Gruppe Westwind, die Flüchtlinge mit Fahrräder versorgen, planen übrigens am 8. Mai eine Ausfahrt mit Lagerbewohnern. Wer mitmachen und mithelfen will, ist herzlich willkommen. Start soll vor der Rindermarkthalle sein.

Flüchtlinge und Fahrrad: Die grosse Freiheit auf zwei Rädern

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Sahar und Ali mit ihren frisch reparierten Flohmarkt-Rädern
Auslöser für diese kurze, aber denk- und berichtenswürdige Begegnung war eine Online-Story des Hamburger Abendblatts. Dort schrieb eine junge Afghanin in der Serie "Angekommen in Hamburg"über ihr Schiksal. Aus ihrer von Bürgerkriegen zerrütteten Heimat ist sie geflohen und machte in Hamburg erstmalig Bekanntschaft mit dem Fahrrad, das sie von wohlmeinenden Gönnern überlassen bekam. Ein Schlüsselerlebnis, denn in Afghanistan ist sie nie Rad gefahren. Es sei für Frauen sogar verboten, berichtet Sahar Raza. Das Fahrrad schenkte ihr nun ein neues Gefühl. Ein Gefühl von Freiheit, von Unabhängigkeit und machte ihr Mut. Dann ging es kaputt: erst das Fahrrad, dann das Gefühl der Unabhängigkeit. Ein Radhändler erklärte das Rad für irreparabel. Das wollte ich nicht glauben, wollte helfen und nahm über die Redaktion mit Sahar Raza Kontakt auf.
Es sollte etliche E-Mails und ein paar Monate dauern, bis wir und treffen, um ihr irreparables Rad instand zu setzen. Wie sich rausstellt, ist das defekte Spendenrad nicht mehr in ihrem Besitz. Statt dessen ein anderes Damenrad vom Flohmarkt mit leichten Schaltungsproblemen. Sahar bringt bei der Gelegenheit ihren Bekannten Ali mit, dessen viel zu kleines Mountainbike ebenfalls Probleme bereitet. Im Hinterrad ist eine Speiche gebrochen. Es eiert. Die Bremse schleift. Da die defekte Speiche leider auf der Ritzelseite liegt und ich keine Speiche in dieser Länge habe, kann ich Ali nur durch grobes nachzentrieren helfen. immerhin läuft das Hinterrad anschließend etwas freier durch die Bremsschuhe - aber so richtig zufrieden bin ich mit dieser Reparatur nicht. Schade.

Anders als bei Sahar. An ihrem Rad sind nur Schaltung und Bremszüge zu Ölen, um für eine leichtgängigere Schaltperformance zu sorgen. Das ist nach wenigen Minuten erledigt. Mir fällt auf, das Sahar zu tief auf ihrem Rad sitzt und biete an, ihr den Sattel höher zu stellen. Sie zögert. Schneller Bodenkontakt mit den Füssen ist ihr wichtig. Wichtiger als eine ergonomisch bessere Sitzposition. Denn noch immer ist Radfahren für sie ein kleines Abenteuer. Aber nach einer Proberunde mit höher eingestelltem Sattel will sie es erstmal so lassen.

Das war's. Ich wünsche Sahar und Ali eine gute Fahrt. Wie verabschieden uns. Wie ihre Zukunft wohl aussehen wird? Werden sie in Hamburg bleiben? Einen Studienplatz bekommen? Eine Wohnung? Oft scheint mir in meinem persönlichem Umfeld vieles ungewiss. Aber mit was für einer Unsicherheit leben Sahar und Ali? Ich habe das Gefühl, ihre Fahrräder sorgen nicht nur für Mobilität, sondern verschaffen ihnen auch Lebensmut.

Als Sahar und Ali am Ende der Strasse immer kleiner werden, muss ich an AfD-Politiker, Pegida-Parolen und die umstrittenen Merkel-Worte denken: "Wir schaffen das", hat sie gesagt. Ein großer Satz. Ein Satz, der vielen Menschen Angst macht. Aber auch ein Satz, der Hoffnung geben kann. Die Hoffnung, das Menschen wie Sahar und Ali eine gute Zukunft vor sich haben, sich gut in unsere Gesellschaft integrieren und sie bereichern. Manchmal sorgen defekte Fahrräder für weitreichende Gedanken.

Testtagebuch: Das Aldi-Rad unter der Lupe

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Seit zwei Wochen parkt das Aldi-Rad nun in unserem Fahrradhäuschen. Richtig große Touren hat es noch nicht erlebt; eher kurze Trips zum Bäcker, durch den Park und einen 25 Kilometer-Ausflug am 1. Mai. Bisheriger Befund: alles okay. Das Rad rollt ordentlich, macht keine Geräusche und bremst gut. Darum heute ein Blick auf die verbauten Komponenten, die ja für manchen Fahrradkäufer kaufentscheindend sind.

Bremsen: Die V-Brakes stammen von Alhonga. Mir sagt das wenig bis nichts. Technisch wirken sie sauber verarbeitet und die Verzögerung ist gut. Auch das Hebelgefühl am Lenker ist prima und lässt eine feinfühlige Dosierung zu. Zusätzlich kann das Curtis Cityrad mit der Rücktrittbremse der Nexus-Nabe gebremst werden. Mehr Bremssicherheit braucht kein Mensch!

Nabendynamo: Er stammt von Shimano und trägt die Bezeichnung DH-3N31-NT ein Massenprodukt und dementsprechend bewährt. Klar, es gibt bessere Leichtlaufwunder, z.B. von SON. Aber für dieses Stadtrad reicht der günstige Shimano-Nabendynamo voll und ganz aus. Er ist in jedem Fall besser als die gern an Discounträdern verbauten Seitenläuferdynamos.

Lichtanlage: Eine Fahrt im Dunkeln habe ich noch nicht absolviert. Trotzdem steht schon fest: Der Scheinwerfer produziert einen hellen LED-Lichtkegel, hinten strahlt vom Gepäckträger-Ende eine rote LED-Schlusssleuchte. Das entspricht nicht nur der StVZO, sondern reicht für den üblichen Praxiseinsatz dieses Rades aus. Nur wer viel im Winter über unbeleuchtete Waldwege fährt, sollte sich Gedanken über einen besseren Scheinwerfer machen.
Vorbildlich: die Nexus-Nabe

Hinterradnabe: Sie ist für mich das Glanzstück an diesem 299-Euro-Rad. Die Nexus-Siebengang von Shimano gehört zu den robustesten Schaltungsnaben überhaupt. Per Drehschalter am rechten Griff betätigt bietet sie blitzschnelle Gangwechsel. Das Übersetzungsspektrum ist praxistauglich gewählt und die Entfaltung fast für jede Fahrsituation passend. Ob Steigung, Ebene, Gegenwind oder Abfahrt - einer der sieben Gänge passt immer. Kein Wunder also, dass die Nexus beispielsweise auch in den Hamburger Stadträdern verbaut wird.

Ohne nennenswerte Funktion:
Feder-Sattelstütze
Sattelstütze: In ihr ist eine kleine Feder integriert.Das gaukelt Komfort vor. Tatsache ist: Eine wirklich stossabsorbierende Wirkung konnte ich bisher nicht feststellen. Ich würde eine leichtere Stütze ohne Feder bevorzugen und halte sie für einen Marketing-Gag.


Sattel: Nicht besonderes. Er ist eher sportlich schmal gehalten und wirkt für meinen Geschmck etwas zu nachgiebig.




Sinnlose Federgabel am Curtis-Rad
Federgabel: Für die gilt das Gleiche wie für die Sattelstütze. Ich halte sie für überflüssig, ja sogar kontraproduktiv. Denn sie treibt das Gewicht nach oben und bietet keinen Komfortgewinn. Ich habe mehrfach mit Absicht Gullideckel, Absätze und Schlaglöcher überfahren, um ihre Wirkung zu prüfen. Diese ist kaum festzustellen. Weder in der Druck- noch in der Zugstufe vermag die Gabel eine dämpfende Wirkung zu entfalten. Zwar fehlt mir der direkte Vergleich mit einer Starrgabel, doch den Komfort kann die SR Suntour CR 7 nicht verbessern. Besser raus damit und ein leichteres Fahrrad anbieten.


Speichen, Felgen, Reifen, Gepäckträger: Alles eher einfach gehalten. Die Noname-Reifen wirken eher hartflankig, was nicht nur den Abrollkomfort schmälert, sondern auch den Rollwiderstand erhöht. Wahrscheinlich kann man durch einen Reifenwechsel die Laufeigenschaften des Rades deutlich verbessern.

Nachgemessen: Das Aldi-Rad wiegt "nur" 18,6 statt knapp 20 Kilo
So weit der Komponenten-Kurzcheck und die damit verbundenen Fahreindrücke. Sehr, sehr spannend ist ja immer die Frage nach dem Gewicht von all dem Firlefanz. Aldi- wie auch andere Discountfahrräder stehen stets im Verdacht, sehr (und damit zu) schwer zu sein. Tatsächlich steht im Datenblatt des Curtis-Rades 19,6 Kilo als Gewichtsangabe. Beim Nachmessen mit der Kofferwaage dann die Überraschung. Das auf 100 Gramm genaue Gerät zeigt 18,6 an. Das Also-Rad ist also ein Kilo leichter als angegeben.

Nächste Folge: Das Design.


Testtagebuch: Das Design des Aldi-Rades

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Es ist billig, es fährt ordentlich und es ist vernünftig ausgestattet. Aber sieht es auch gut aus?
Das Aldi-Rad zeichnet sich durch eine eher konservative Gestaltung aus. Um eine breite Spanne an Körpergrößen abdecken zu können, fällt das Oberrohr des klassischen Herren-Diamantrahmens nach hinten ab. Diese Sloping-Geometrie macht zudem den Einstieg in das Rad leichter. Trotz kleiner Rahmengröße lässt sich das Rad durch ausziehen der Sattelstütze auch gut größeren Fahrern anpassen.

Soweit zur Funktionalität. Und die Optik? Nun, Design gilt ja als objektiv messbar. Aber wie immer bleibt ein Befund übers Aussehen überwiegend eine Geschmacksfrage. Ich finde das Rad weder besonders schön, noch hässlich. Ober- und Sattelrohr sind deutlich dünner als das massige Oberrohr, was für eine optische Asymmetrie sorgt. Warum so unterschiedlich? Stabilitätsgründe können es kaum sein.

Bemerkenswert ist die Lackierung. Sie ist zweifarbig ausgeführt, wobei es im unteren Rahmenbereich zu einer Verlauffarbgebung kommt. Ich finde die Idee misslungen, weil es so aussieht, als habe sich weißer  Farbnebel auf den graublauen Untergrund gelegt.

Meine Nachbarn sehen das offenbar anders: "Was für ein schönes Rad", sagte einer von ihnen kürzlich als ich das Aldi-Rad über den Parkplatz schiebe. Eine ähnliche Reaktion erfahre ich ein paar Tage später während einer kurzen Spritztour. Die Designer scheinen also den Massengeschmack schon ganz gut getroffen zu haben.
  • Hersteller des Rades sind übrigens die Mitteldeutschen Fahrradwerke (Mifa). Ein Blick auf die Mifa-Homepage
Wie es weiter geht mit dem Curtis-Aldi-Rad, wie es fährt, demnächst an dieser Stelle. Stay tuned.
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